09.2018

Rechtsmacht entscheidet

GRATWANDERUNG SOZIALVERSICHERUNG Laut aktueller Rechtsprechung können unter Umständen auch Gesellschafter-Geschäftsführer ohne Anteilsmehrheit von der Sozialversicherungspflicht befreit sein. Firmen sollten Chancen und Risiken genau abwägen und für Rechtssicherheit sorgen.

Wann greift beim Geschäftsfüh­rer die Sozialversicherungs­pflicht? Diese Frage ist nicht immer einfach zu beantworten. Über den tatsächlichen Sozialversicherungsstatus entscheiden bisweilen vertragliche Details. In den letzten Jahren hat die Rechtspre­chung die Möglichkeiten einer Befreiung von der Sozialversicherungspflicht immer weiter eingeschränkt. Bei Minderheits­Gesellschaftern erkennen die Sozialversi­cherungsträger nur noch in den wenigsten Fällen eine Selbstständigkeit an. Vor die­sem Hintergrund sollten inhabergeführte Unternehmen ihre Satzung und Geschäfts­führerverträge dringend auf den Prüfstand stellen. Fehleinschätzungen auf diesem Gebiet können drastische Folgen für Un­ternehmen und Gesellschafter haben.

Grundsätzlich gilt: Der Sozialversi­cherungsstatus von geschäftsführenden Gesellschaftern hängt von ihrer Rechts­macht in der Firma ab. „Weisungsabhängi­ge“ Geschäftsführer unterliegen der Sozialversicherungs-pflicht. Weisungsfreiheit liegt in der Regel dann vor, wenn der Geschäfts-führer einer GmbH, Kommandit- oder Unternehmergesellschaft mindestens 50 Prozent der Geschäftsanteile hält. Gleichwohl existieren aber selbst dann noch Ausnahmefälle. So etwa Konstellati­onen, in denen Gesellschafter die Mehr­heitsanteile als Treuhänder für eine andere Person halten und an deren Weisungen gebunden sind.

Doch was, wenn der Geschäftsführer keine Anteilsmehrheit hält? Ob auch in solchen Fällen Weisungsfreiheit vorliegen kann, war in jüngster Zeit Gegenstand mehrerer Gerichtsverfahren. Zwei aktuelle Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) sorgen jetzt abschließend für Klarheit (Az. B 12 KR 13/17 R; B 12 R 5/16 R). Die Rich­ter gehen davon aus, dass ein Minderheits­gesellschafter nur dann als weisungsfrei gelten kann, wenn er über eine echte Sperr­minorität verfügt. Voraussetzung ist, dass sie im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich geregelt ist. Das Merkmal „echt“ gilt nur dann als erfüllt, wenn der Geschäftsführer einen wesentlichen und dauerhaften Ein­fluss auf die Beschlüsse und Entscheidun­gen der Gesellschaft hat. Die Sperrminori­tät muss daher unkündbar sein, also nicht ohne Zustimmung des betreffenden Gesell­schafter-Geschäftsführers aufgehoben wer­den können. Firmen sollten sicherstellen, dass die Sperrminorität für alle Gesell­schafterbeschlüsse greift, welche die im Geschäftsführer-Anstellungsvertrag ent­haltenen Rechte beeinträchtigen könnten.

Bei allen sozialversicherungsrechtli­chen Vorteilen ist dieses Modell nicht frei von Risiken. Firmen beschränken mit der starken Position des Minderheitsgesell­schafters die Rechte der Inhaber der An­teilsmehrheit. Das kann im Extremfall bis zur Handlungsunfähigkeit der Gesell­schaft führen. Entscheidungsträger sollten die Vor- und Nachteile genau gegeneinan­der abwägen und sich bewusst machen, welche Macht sie ihrem Geschäftsführer damit im Betriebsalltag einräumen.

Die Rechtsprechung hat alternativen Gestaltungen zur echten Sperrminorität in
der Vergangenheit mehrfach eine Absage erteilt. Nicht ausreichend sind etwa Neben­abreden zur Satzung in Form eines schuld­rechtlichen Vetorechts oder einer schuld­rechtlichen Weisungsfreiheit. Diese kön­nen unter Umständen gekündigt werden und sichern daher die Eigenständigkeit des Geschäftsführers nicht für alle Fälle ab. Auch eine schuldrechtliche Stimmbindungs-Vereinbarung kommt nicht infrage. Sobald sie von den Geschäftsanteilen los­gelöst ist, geht die gesellschaftsrechtliche Wirksamkeit verloren. Nicht zuletzt fehlt gemäß BSG einem gesellschaftsrechtli­chen Vetorecht die erforderliche Bestän­digkeit. Es kann die Gesellschafter nicht daran hindern, dass sie es nachträglich aus dem Gesellschaftsvertrag löschen.

Die aktuelle Rechtslage gebietet Vorsicht. Stellt sich im Rahmen einer Be­triebsprüfung heraus, dass ein vermeint­lich selbstständig tätiger Geschäftsführer tatsächlich versicherungspflichtiger Ange­stellter war, drohen dem Unternehmen hohe Nachzahlungen in die Sozialversi­cherung nebst saftigen Säumniszuschlä­gen. Lag hingegen bei einem Geschäfts­führer wider Erwarten keine Sozialver­sicherungspflicht vor, hat er womöglich keinen Anspruch auf existenziell wichtige Versicherungsleistungen.

Unternehmen sollten im Zweifelsfall fachlichen Rat einholen und für Klarheit sorgen. Nach Abstimmung mit kundigen Beratern können Betroffene auch bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversi­cherung ein sogenanntes Statusfeststel­lungsverfahren durchführen lassen. Ergeb­nis ist immer ein Feststellungsbescheid, der hinsichtlich des geprüften Sachverhalts rechtsverbindlich ist. So gehen Unterneh­men und Gesellschafter auf Nummer sicher und vermeiden böse Überraschungen.

Quelle: Cash

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Rebekka De Conno
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht
Tel.: 02166 971-128
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