Das deutsche Pflichtteilsrecht garantiert nahen Angehörigen einen Mindestanspruch auf den Nachlass, selbst wenn sie durch ein Testament benachteiligt oder enterbt werden. Gerade bei Schenkungen zu Lebzeiten und einer strategischen Nachlassplanung kommt es jedoch oft zu Konflikten zwischen Erben und Pflichtteilsberechtigten.
Ein aktueller Fall aus London zeigt, wie erbittert um Nachlässe gestritten werden kann, wenn der Erblasser seine Vermögensverteilung ungleich gestaltet hat. Dort klagte die Stieftochter eines Verstorbenen gegen dessen frühere Haushaltshilfe, die eine wertvolle Briefmarkensammlung zu einem symbolischen Preis von einem Pfund erhalten hatte, während die Stieftochter lediglich mit dem gleichen symbolischen Betrag bedacht wurde – obgleich sie nach einem älteren Testament ursprünglich wie die leiblichen Töchter auch umgerechnet 18.000 Euro erhalten sollte. Dieser Fall wirft grundlegende Fragen auf, wie Erbschaften rechtlich und strategisch gestaltet werden können, insbesondere im Hinblick auf das Pflichtteilsrecht und dessen Ergänzung in Deutschland.
In Deutschland sorgt das Pflichtteilsrecht dafür, dass nahe Angehörige nicht vollständig enterbt werden können. Abkömmlinge und unter bestimmten Umständen auch Ehepartner und Eltern des Erblassers haben Anspruch auf einen Pflichtteil, der als reiner Geldanspruch ausgestaltet ist. Dieser Anspruch beläuft sich auf die Hälfte des gesetzlichen Erbteils und kann nur in Ausnahmefällen, etwa bei schwerem Fehlverhalten des Pflichtteilsberechtigten, ausgeschlossen werden. Eine Besonderheit im deutschen Erbrecht ist der Pflichtteilsergänzungsanspruch, der verhindern soll, dass der Erblasser zu Lebzeiten Vermögen verschenkt, um den Nachlass zu reduzieren und damit die Pflichtteilsansprüche zu schädigen.
„Das Gesetz sieht vor, dass Schenkungen, die innerhalb von zehn Jahren vor dem Tod des Erblassers erfolgt sind, fiktiv dem Nachlass hinzugerechnet werden. Diese Regelung sorgt dafür, dass auch Vermögenswerte, die nicht mehr direkt Teil des Nachlasses sind, bei der Berechnung des Pflichtteils berücksichtigt werden. Mit zunehmendem Zeitabstand zur Schenkung verringert sich der angerechnete Wert jedoch um zehn Prozent pro Jahr. Nach Ablauf der Zehnjahresfrist bleiben Schenkungen unberücksichtigt, sofern sie nicht an Ehepartner erfolgt sind. In diesen Fällen beginnt die Zehnjahresfrist erst mit der Auflösung der Ehe“, erklärt Dr. Stephanie Thomas, Partnerin und Fachanwältin für Steuerrecht bei der interdisziplinären Beratungsgesellschaft WWS-Gruppe.
Diese gesetzlichen Mechanismen schaffen Schutz für Pflichtteilsberechtigte, können aber auch zu erheblichen Konflikten führen. Für Erblasser ist es daher wichtig, die Nachlassplanung strategisch anzugehen. Wer Schenkungen zu Lebzeiten plant, sollte diese rechtzeitig vornehmen, um die Zehnjahresfrist zu nutzen und damit den Pflichtteilsergänzungsanspruch zu minimieren. Regelmäßige Schenkungen innerhalb der steuerlichen Freibeträge bieten eine weitere Möglichkeit, Vermögen zu Lebzeiten zu übertragen, ohne dass die Pflichtteilsansprüche belastet werden. Besonders komplex wird es, wenn Schenkungen unter Vorbehalt von Rückforderungsrechten erfolgen, da solche Gestaltungen die Zehnjahresfrist beeinflussen können und rechtlich genau geprüft werden müssen.
Dr. Stephanie Thomas erklärt weiter: „Pflichtteilsberechtigte sollten sich ihrer Rechte bewusst sein und frühzeitig Transparenz einfordern. Ihnen steht ein umfassender Auskunftsanspruch zu, der es ermöglicht, den Nachlass und etwaige Schenkungen zu prüfen. Dabei können beispielsweise Schenkungen an Dritte aufgedeckt werden, die den Pflichtteilsergänzungsanspruch auslösen. Es ist entscheidend, die Verjährungsfristen zu beachten, da Pflichtteilsansprüche in der Regel drei Jahre nach Kenntnis des Erbfalls und der beeinträchtigenden Schenkung verjähren.“
Für beide Seiten – Erblasser und Erben – ist eine frühzeitige und umfassende Planung der Vermögensübergabe von großer Bedeutung. Klare Regelungen und transparente Gestaltungen können Konflikte vermeiden und sicherstellen, dass die Vorstellungen des Erblassers rechtssicher umgesetzt werden. Die enge Zusammenarbeit mit rechtlichen und steuerlichen Beratern ist dabei unerlässlich, um die komplexen Regelungen des Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsrechts optimal zu nutzen. Auf diese Weise lässt sich nicht nur Streit vermeiden, sondern auch eine ausgewogene Vermögensverteilung erreichen, die den Interessen aller Beteiligten gerecht wird.
Quelle: PT-Magazin
Korrespondenz mit:
Dr. Stephanie Thomas
Geschäftsführerin,
Rechtsanwältin,
Steuerberaterin,
Fachanwältin für Steuerrecht
Beruflicher Werdegang
1998 – 2003 |
Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Würzburg |
2003 - 2005 |
Rechtsreferendariat am Landgericht Würzburg |
2005 – 2010 |
Freshfields Bruckhaus Deringer LLP, Düsseldorf |
2006 |
Zulassung als Rechtsanwältin |
2008 |
Promotion zur Dr. jur. an der Universität Köln |
2009 |
Prüfung und Bestellung zur Steuerberaterin |
2010 |
Verleihung des Titels Fachanwältin für Steuerrecht |
seit 2010 |
WWS Wirtz, Walter, Schmitz GmbH
|
Dr. Stephanie ThomasGeschäftsführerin, Rechtsanwältin, Steuerberaterin, Fachanwältin für Steuerrecht
Tel.: 02166 971-130
E-Mail: s.thomas@wws-gruppe.de