05.2016
Gefährliche Anfängerfehler
Handwerker bekommen immer öfter unangekündigten Besuch von Betriebsprüfern, die auf die Mehrwertsteuer spezialisiert sind. Wie sich Firmen dagegen am besten wappnen.
Seien wir ehrlich: Nicht alle Unternehmer sind in steuerlicher Hinsicht Musterknaben. Und zu den beliebtesten Hinterziehungsmethoden gehört es, private Ausgaben über die Firma laufen zu lassen. Den neuen Teppich fürs Wohnzimmer? Den Schreibtisch für den Filius? Das Gemälde für den Flur? Derlei Einkäufe werden gerne als Betriebsausgaben deklariert, schließlich könnten sie tatsächlich fürs Büro oder den Besprechungsraum in der Firma gedacht sein. Und wenn sich die Betriebsprüfer ankündigen, bleibt ja genug Zeit, die Sachen dorthin zu bringen. Glauben zumindest viele. Doch damit liegen sie falsch. Denn immer öfter kommen Finanzbeamte unangekündigt vorbei - zu einer Umsatzsteuer-Nachschau", wie es im Beamtenjargon heißt. Nach Zahlen aus dem Bundesfinanzministerium finden pro Jahr mehrals 80.000 solcher Spontanprüfungen statt. Das Instrument kommt immer häufiger zum Einsatz", sagt Ingo Prang, Steuerberater bei Ecovis in Kleve.
Und Unternehmer, die getrickst haben, fliegen dann mit hoher Wahrscheinlichkeit auf, denn die Beamten haben umfassende Zutritts- und Prüfbefugnisse (siehe Grafik "Tag der offenen Tür”, Seite 64). Doch welche Unternehmen nehmen die Beamten ins Visier? Und worauf achten sie?
START-UP ODER SCHEINFIRMA?
Besonders häufig betroffen sind Gründer. Denn die unangekündigte Nachschau wurde im Jahr 2002 eingeführt, um der wachsenden Zahl sogenannter "Umsatzsteuer-Karusselle" Einhalt zu gebieten. Bei diesem Modell gründen Betrüger Ketten von Scheinfirmen, die Waren an die jeweils nächste verkaufen, bis sie wieder am Ausgangspunkt landen, sodass sich ökonomisch nichts verändert hat.
An einer Stelle kommt es aber - vereinfacht ausgedrückt - zum entscheidenden Deal: Der Käufer lässt sich die gezahlte 19-prozentige Mehrwertsteuer als Vorsteuer vom Finanzamt erstatten, obwohl der Verkäufer keine Mehrwertsteuer abführt. Danach werden die Firmen flugs aufgelöst, die Betrüger streichen die Erstattung ein. Im Rahmen einer Nachschau wird deshalb geprüft, ob überhaupt ein Geschäftsbetrieb existiert und ob die Räumlichkeiten zum angemeldeten Geschäftszweck passen", erläutert Prang von Ecovis. "Sonst liegt der Verdacht nahe, dass es sich um eine Scheinfirma zum Zweck des Umsatzsteuerbetrugs handelt.“
Allerdings grasen die Beamten keineswegs nur neu angemeldete Firmen ab. Auch etablierte Unternehmen bekommen Besuch. Auslöser für eine Umsatzsteuer-Nachschau kann beispielsweise sein, dass ein Unternehmen in der - üblicherweise monatlich abzugebenden - Umsatzsteuervoranmeldung hohe Mehrwertsteuerbeträge als Vorsteuer geltend macht, weil Maschinen, Transporter, Computer oder andere Aktiva angeschafft wurden.
Gefüttert mit den Informationen aus der Umsatzsteuer-Voranmeldung prüfen die "nachschauenden” Beamten dann penibel, ob die Gegenstände tatsächlich vorhanden sind - mit besonderem Augenmerk auf alles, was auch privat genutzt werden kann, zum Beispiel Möbel oder Computer.
FATALE MEHRWERTSTEUER-FEHLER
Wer ein reines Gewissen hat, ist damit aber noch nicht aus dem Schneider. Denn wenn sie schon mal da sind, schauen die Prüfer auch genauer hin. Und dabei entdecken sie oft Fehler. Schließlich sind die deutschen Mehrwertsteuer-Vorschriften umfassend und für Laien kaum nachvollziehbar. Gerade Gründer haben oft andere Sorgen - gilt es doch, Mitarbeiter zu finden, den Betrieb zu organisieren und vor allem, Kunden zu gewinnen. Dabei kommt insbesondere die Steuer-Dokumentation oft zu kurz. Und das kann sich bitter rächen, weil das Finanzamt ohne Nachweis den Vorsteuerabzug gnadenlos verweigert.
Denn die Vorschriften sind eindeutig: Wer sich die gezahlte Mehrwertsteuer erstatten lassen will, muss Rechnungen für zehn Jahre aufbewahren. Außerdem müssen Unternehmer darauf achten, dass sie sämtliche wichtigen Angaben enthalten - bei Rechnungen ab 150 Euro sind das vor allem Datum, Name und Adresse des Lieferanten, seine Steuemummer oder Umsatzsteuer-Identifikationsnummer. Angaben zur Lieferung oder Leistung sowie natürlich Nettobetrag und Mehrwertsteuer.
Stellt sich im Rahmen einer Nachschau heraus, dass Angaben fehlen, können Unternehmer immerhin beim Lieferanten nachhaken und eine korrekte Version besorgen. Kniffliger wird's, wenn gar keine Rechnung vorliegt. Denn dann müssen Unternehmen die erstattete Mehrwertsteuer in der Regel erstmal ans Finanzamt zurückzahlen. Erst, wenn sie eine Rechnung besorgt haben, dürfen sie eine neuerliche Erstattung beantragen.
Bisweilen schludern Unternehmer aber nicht nur bei den Belegen, sondern vergessen völlig, dass sie monatliche Voranmeldungen und nicht nur eine Umsatzsteuer-Erklärung fürs Gesamtjahr abgeben müssen. Oder sie gehen voreilig davon aus, dass sie als "Kleinunternehmer'' ihren Kunden gar keine Mehrwertsteuer in Rechnung stellen und somit natürlich auch nichts melden müssen. "Auch das kann im Rahmen einer Nachschau auffällen", sagt Klaus Meyer-Gehlen, Steuerberater bei der Kanzlei WWS in Mönchengladbach. Das Problem: Die "Kleinunternehmerregelung'' dürften Unternehmen nur in seltenen Fällen in Anspruch nehmen (siehe Kasten Seite 63).
Unabhängig davon ist zu beachten, dass die Regelung nicht immer Sinn macht. "Wer keine Mehrwertsteuer berechnet, darf umgekehrt auch keine Vorsteuer geltend machen und verschenkt oft hohe Steuervorteile“, warnt MeyerGehlen. Denn gerade, wenn am Anfang hohe Investitionen notwendig sind - zum Beispiel in Maschinen und Computer - ist die erstattete Vorsteuer oft höher als die Mehrwertsteuer, die man selbst an den Fiskus zahlen muss.
DAS STEUERSATZ-CHAOS
Ein besonders kniffliges Thema ist der Steuersatz. Denn vielfach ist nicht auf den ersten Blick klar, ob Unternehmen 19 Prozent berechnen müssen oder den ermäßigten siebenprozentigen Satz ansetzen dürfen. Auch in Handwerksbranchen tauchen etliche Zweifelställe auf. Und das birgt ein gewaltiges Risiko. Der Grund: Wer zu Unrecht sieben Prozent ansetzt, muss die Differenz später aus eigener Tasche zahlen. Betroffen sind beispielsweise Bäcker und Metzger, die belegte Brötchen, Snacks oder andere Mahlzeiten zum Vor-Ort-Verzehr anbieten und dafür Sitzgelegenheiten wie etwa Hocker an Stehtischen anbieten. Denn wenn der Kunde sein Essen an Ort und Stelle im Sitzen zu sich nimmt, sind 19 Prozent Mehrwertsteuer fällig - wie im Restaurant.
Nimmt der Kunde sein Essen dagegen mit, ist der siebenprozentige Satz erlaubt - wie beim Lebensmittelkauf im Supermarkt. Allerdings argwöhnen Umsatzsteuer-Prüfer vom Finanzamt häufig, dass Unternehmen auch bei vielen "Sitzkunden" lediglich die 7-Prozent'-Taste" auf der Kasse drücken. Schließlich ist der Anreiz groß, weil alle Kunden denselben Preis zahlen. Ein höherer Steuersatz geht deshalb voll zulasten der Marge.
Wenn den Prüfern die Quote der Sieben-Prozent-Umsätze allzu hoch erscheint - wann das der Fall ist, verraten sie leider nicht -, schätzen sie deshalb gerne einen höheren Anteil. Zwar gibt es immer wieder Streit, ob sie dazu befugt waren und vor allem, ob die Schätzung korrekt ist. Um langwierige Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden, läuft es in solchen Fällen allerdings oft auf einen Kompromiss raus, der für Unternehmer immer noch schmerzhaft ist.
DER FISKUS UND DAS MOOS
Auf der sicheren Seite ist immerhin, wer keine Sitzgelegenheiten anbietet. Denn wenn Kunden vor Ort im Stehen essen, sind trotzdem sieben Prozent erlaubt. Ein besonders skurriler Zweifelsfall betrifft Floristen: Bei Adventskränzen ist der siebenprozentige Satz nur erlaubt, soweit frisches Material charakterbestimmend ist“, wie es in einem Schreiben des Bundesfinanzministeriums (BMF) heißt. Kommt zum Beispiel Trockenmoos zum Einsatz, ist der Vorteil dahin. Und Vorsicht: Anfeuchten macht trockenes nicht zu frischem Moos, warnt das BMF.
Ähnlich detailliert haben sich die Ministerialbeamten auch mit der Tätigkeit selbständiger Kostümbildner befasst - und per Verwaltungsanweisung klargestellt: Anspruch auf das Sieben-Prozent-Privileg haben sie nur, wenn sie "künstlerische Freiheiten'' genießen (IV D 2 - S 7240/11/10002). Wer dagegen nur "vorgegebene Gestaltungsformen handwerklich umsetzt ", müsse 19 Prozent in Rechnung stellen. Absurder geht's kaum, und auch viele Steuerberater tun sich mit den Zweifelsfällen des Mehrwertsteuerrechts schwer. Immer wieder bekommen Betroffene den Rat, lieber 19 Prozent anzusetzen. Dann könne der Fiskus schließlich nichts nachfordern.
Doch damit machen es sich die Experten zu einfach. Denn wenn Unternehmer den Höchstsatz berechnen, ist das natürlich ein Nachteil im Preiswettbewerb - insbesondere, wenn sie Geschäfte mit Privatkunden machen, die sich die Mehrwertsteuer nicht erstatten lassen können. Deshalb gilt: Ein klares Statement vom Steuerberater einfördern - oder einen anderen suchen. In solchen Fällen kann eine Umsatzsteuer-Nachschau übrigens Gold wert sein. Denn die Beamten sind echte Mehrwertsteuer-Spezialisten. Unternehmer sollten die Chance nutzen und den Prüfern Fragen stellen - etwa nach dem richtigen Steuersatz oder den Anforderungen an eine korrekte Archivierung von Rechnungen und Belegen. Meyer-Gehlen: "Wer Fehler im Anschluss an eine Nachschau korrigiert, verhindert, dass sie sich über Jahre aufsummieren - und nach der ersten regulären Betriebsprüfung eine umso höhere Summe fällig ist.“
Quelle: Handwerk Magazin
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