12.2015

Big Data im Finanzamt

Betriebsprüfung. Mit einer automatisierten Analyse wollen die Beamten Durchschnittswerte aus den elektronischen Bilanzen für sämtliche Bran­chen ermitteln - und Abweichler gezielt ins Visier nehmen.

Es ist ein offenes Geheimnis: Bei der Ein­führung der E-Bilanz ging es den Finanz­behörden nicht nur darum, Abläufe für Steu­erzahler zu vereinfachen. Das Ziel ist darüber hinaus der Aufbau eines Datenschatzes, der ir­gendwann mit modernster Software ausgewer­tet werden soll - und zwar, um Steuerhinterziehern unter Deutschlands Unternehmen schneller auf die Schliche zu kommen. „An­ders ließe sich der Aufwand nicht rechtferti­gen, den die Behörden und die Steuerpflichtigen mit der E-Bilanz betreiben müssen“, sagt Thomas Göbel, Steuerberater bei der Kanzlei WWS in Mönchengladbach.

Wer nach Details und vor allem nach dem Timing fragt, stößt aber auf eine Mauer des Schweigens; selbst ansonsten auskunftsfreudi­ge Beamte werden dann schmallippig. Das The­ma, so viel ist klar, läuft in den Behörden unter dem Label „Geheime Kommandosache“.

Immerhin liefert der aktuelle Jahresbericht des Bayerischen Landesamts für Steuern (LfSt) einen aufschlussreichen Hinweis. Eine Arbeits­gruppe des Fiskus hat demnach inzwischen „Ri­sikoregeln zur E-Bilanz“ definiert, aber „noch nicht ausgegeben“. Mit anderen Worten: Die Experten haben bereits festgelegt, ab welcher Größenordnung Positionen in der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) ver­dächtig sind.

Die auf Seite 49 versteckte Formulierung macht deutlich, dass die Vorbereitungen zur Auswertung des Datenschatzes auf Hochtouren laufen. „Schon bald dürften Betriebsprüfungen vor allem dann anberaumt werden, wenn eine elektronische Analyse Verdachtsmomente ge­liefert hat“, sagt Göbel. Statt vor allem von der Unternehmensgröße und vom Zufall, hängt es also künftig vom Computer ab, ob Betriebsprü­fer anrücken. Aber wie sehen die „Risikore­geln“ aus? Oder anders gefragt: Wann schlägt der Computer Alarm?

Täglich neue Daten

Klar ist: Der Datenschatz wächst täglich. Seit Anfang 2014 sind Unternehmen verpflichtet, ihre Bilanz samt GuV via Internet beim Finanz­amt einzureichen (siehe Kasten oben). Allein im vergangenen Dezember wurden laut LfSt-Be richt bundesweit rund 300 000 E-Bilanzen abge­schickt. In diesen Wochen kommen nun Hun­derttausende hinzu, weil die Frist zur Abgabe der 2014er-Bilanz Ende Dezember abläuft.

Zugleich schafft die Bundesregierung den ge­setzlichen Rahmen für einen deutlichen Aus­bau der IT-gestützten Prüfung der Bilanzen: Ende August hat sie einen Gesetzentwurf zur „Modernisierung des Besteuerungsverfahrens“ vorgelegt, der zu einer „Steigerung von Wirt­schaftlichkeit und Effizienz“ führen soll - und zwar „durch einen verstärkten Einsatz der In­formationstechnologie“. Unter anderem heißt es darin: „Die Finanzbehörden können bei der Ermittlung und Bewertung des Sachverhalts automationsgestützte Systeme zur Bewertung der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen [...] einsetzen.“ Einzelheiten zu diesen Risikoana­lysen „dürfen nicht veröffentlicht werden“. Dahinter verbirgt sich ein Paradigmenwech­sel: Stuft die IT Steuererklärungen oder Bilanzen als unverdächtig ein, kommt auto­matisch ein Haken dran - Sachbearbeiter be­ziehungsweise Betriebsprüfer werden gar nicht erst eingeschaltet.

Ergänzt werden soll das System allerdings um eine Zufallsauswahl von Steuerpflichtigen, die persönlich unter die Lupe genommen wer­den, obwohl sie der Software unverdächtig er­scheinen. Auf diese Weise wollen die schwarz­roten Koalitionäre Ärger mit den Verfassungs­hütern vermeiden, die ein „Vollzugsdefizit“ konstatieren könnten, wenn Kollege Computer künftig ganz allein zuständig ist.

Bis der Fiskus flächendeckend umstellt, wird aber noch Zeit vergehen. Denn das Gesetz zur „Modernisierung des Besteuerungsverfahrens“ soll erst am 1. Januar 2017 in Kraft treten. Aber wie der LfSt-Bericht nahelegt, werden die Be­hörden schon vorher mit der IT-Analyse von E-Bilanzen beginnen - zumindest in einzelnen Regionen. In Bayern und Nordrhein-Westfalen liefen derzeit bereits „Pilotprojekte“, berichtet Anne Thätner, Steuerberaterin bei der Kanzlei Ecovis in Rostock. Zudem könnten Bilanzen, die jetzt auf elektronischem Weg eingereicht wer­den, auch nachträglich noch von der Software geprüft werden, sobald der Startschuss für de­ren Einsatz falle, sagt WWS-Berater Göbel.

Abweichler im Visier

Höchste Zeit also für Unternehmer, sich mit dem Vorhaben zu befassen. Denn die Auswer­tung von Bilanzen mit Big-Data-Methoden birgt Risiken. „Es besteht die Gefahr, dass Unterneh­men, die wegen ihrer Geschäfts-, Kunden- oder Angebotsstruktur vom Durchschnitt abwei­chen, zu Unrecht in Verdacht geraten“, warnt Thätner von Ecovis. Um ihre Sorge zu verste­hen, ist ein Blick auf die Vorgehensweise des Fiskus notwendig: In einem ersten Schritt sol­len auf Basis der bundesweit gesammelten Bi­lanz- und GuV-Daten „Benchmarks“ ermittelt werden. Die zeigen dann etwa, wie hoch Rück­stellungen oder Geschäftsführergehälter im Durchschnitt ausfallen - gestaffelt nach Bran­chen, Unternehmensgrößen und Regionen.

Diese Benchmarks erlauben es, im zweiten und entscheidenden Schritt Abweichler ins Vi­sier zu nehmen: Die IT-Experten des Fiskus werden die Software zur Analyse von E-Bilanzen so einstellen, dass sie bei Abweichungen von der Norm Alarm schlägt. Durchschnittli­che Unternehmen hätten somit nichts zu be­fürchten - während Besonderheiten sofort die Betriebsprüfer auf den Plan rufen. „Darüber hinaus dürfte im Rahmen der automatisierten Risikoanalyse geprüft werden, ob Bilanz- oder GuV-Positionen im Zeitvergleich stark vonein­ander abweichen“, sagt Göbel. Zu einem Warn­hinweis der IT könnten dann zum Beispiel deutlich gestiegene Gehälter von geschäftsfüh­renden Gesellschaftern führen - schließlich könnte es sich um „verdeckte Gewinnaus­schüttungen“ handeln. „Big Data“ machen es darüber hinaus deutlich einfacher, die „Ange­messenheit“ solcher Saläre zu beurteilen. „Der Fiskus wird künftig über sehr viel detaillierte­re Daten zu durchschnittlichen Geschäftsfüh­rergehältern in bestimmten Branchen und Re­gionen verfügen“, sagt Göbel.

Zudem geht er davon aus, dass der Fiskus künftig mit einem „automatisierten Abgleich“ zwischen der E-Bilanz und der privaten Steuer­erklärung eines Gesellschafters prüft, ob er sein gesamtes Gehalt versteuert. Bei der IT-Analyse von Steuererklärungen ist die Finanzverwal­tung schließlich schon einen Schritt weiter als bei den E-Bilanzen.

Werbung bei Steuerberatern

In diesen Monaten geht es den Finanzbehör­den vor allem darum, möglichst viele Daten zu sammeln. So können sie zum einen mehr Benchmarks bilden - und zum anderen wächst die Zahl der Positionen, die die Software prü­fen kann. Deshalb hoffen die Beamten, dass Unternehmen freiwillig mehr Daten übermit­teln als nur die Bilanz- und die GuV-Zahlen. Anfangs sei das Problem gewesen, dass oftmals „nur der Mindestumfang übermittelt wurde“, heißt es im Bericht des LfSt. Dieser sei „für eine steuerrechtliche Beurteilung“ oftmals zu wenig. In „enger Abstimmung mit den Steuer­beraterkammern München und Nürnberg“ sei­en deshalb „Werbemaßnahmen“ eingeleitet worden - „mit dem Ziel, [...] den Umfang der Datensätze zu erhöhen“.

Unternehmen sollen also beispielsweise ih­ren Lagebericht, den Anlagespiegel - das ist die Übersicht über die Entwicklung des Anlagever­mögens - sowie eine detaillierte Aufschlüsse­lung der Buchungskonten liefern. Das stößt nicht überall auf Begeisterung. „Einige Man­danten stehen ganz klar auf dem Standpunkt, dass das Finanzamt nur das bekommt, worauf es Anspruch hat“, erläutert Göbel von WWS. Er rät ihnen allerdings dazu, mehr zu schicken. „Auf diese Weise dokumentiert man Kooperati­onsbereitschaft“, sagt er. „Und auf Nachfrage können die Beamten die Angaben sowieso be­kommen.“ Wer in der Buchhaltung schlampt, kann durch die Daten-Freigiebigkeit jedoch Pro­bleme bekommen. Beispiel Aufschlüsselung der Buchungskonten: Unternehmen müssen Umsätze je nach Mehrwertsteuersatz eigenen „Unterkonten“ zuordnen - eine komplizierte Angelegenheit, vor allem wenn ein Produkt in verschiedene Länder mit jeweils unterschiedli­chen Steuersätzen exportiert wird.

Mancher trägt deshalb kurzerhand alles in die Sammelposition „Umsatz-Erlöse ohne be­sondere Zuordnung“ ein - was das Finanzamt nur erfährt, wenn die Kontenaufschlüsselung mitgeliefert wird. „Das kann dann zu Nachfra­gen führen“, warnt Göbel. Und womöglich neh­men die Beamten dies zum Anlass, besonders genau hinzuschauen - nach dem Motto: Wer es mit der Zuordnung der Umsätze nicht so genau nimmt, schlampt womöglich auch.

Angst vor Wirtschaftsspionage

Ein weiteres Risiko der Freigebigkeit in Sachen Daten: Wer weiß schon, wie sicher die Informa­tionen beim Fiskus sind? Schließlich kann es sich durchaus um sensible Geschäftsinformati­onen handeln - so dürfte es manchen Wettbe­werber brennend interessieren, in welchen Be­reichen Unternehmen Sonderabschreibungen vornehmen oder Rückstellungen bilden. Ange­sichts der zunehmenden Digitalisierung in der Finanzverwaltung sei es erstaunlich, „dass es nicht längst eine intensive Debatte um den Da­tenschutz im Steuerrecht gibt“, sagt Rudolf Mellinghoff, Präsident des Bundesfinanzhofs. Spätestens nach dem ersten Hacker-Angriff dürfte es so weit sein.

Quelle: Handwerk Magazin

Korrespondenz mit:

Thomas Göbel
Steuerberater
Tel.: 02166 971-113
Fax: 02166 971-123
E-Mail: tgoebel@wws-mg.de

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