04.2025
Wenn der Mittelstand international wird: Warum deutsche Unternehmen auf IFRS umstellen müssen
Die Rechnungslegung nach Handelsgesetzbuch (HGB) ist für viele mittelständische Unternehmen in Deutschland über Jahrzehnte hinweg gelebte Praxis – bis sich die Rahmenbedingungen durch eine Übernahme, eine Kapitalmarktorientierung oder eine neue Konzernstruktur plötzlich ändern. Die Integration in einen international tätigen Konzern bringt nicht selten die Verpflichtung mit sich, den Jahresabschluss künftig nach den International Financial Reporting Standards (IFRS) zu erstellen.
Es ist oftmals ein tiefgreifendes Ereignis, das Unternehmen dazu zwingt, mit einer gewohnten Praxis in Rechnungslegung und Jahresabschluss zu brechen. Denn typischerweise haben gerade mittelständische Unternehmen über Jahrzehnte hinweg ihre Abschlüsse nach den soliden und vertrauten Vorschriften des Handelsgesetzbuchs (HGB) erstellt – und sehen sich plötzlich mit der Notwendigkeit konfrontiert , beispielsweise nach einer (teilweisen oder vollständigen) Übernahme durch einen internationalen Investor, die Eingliederung in eine global agierende Unternehmensgruppe oder die Vorbereitung eines Börsengangs auf Konzernebene, ihre Rechnungslegung auf die International Financial Reporting Standards (IFRS) umzustellen. Diese neue Sphäre der Finanzberichterstattung ist somit Ergebnis dieser strukturellen Veränderung im Gesellschafts- und Steuerrecht.
IFRS orientiert sich stärker an der Abbildung der wirtschaftlichen Realität
Die International Financial Reporting Standards (IFRS) sind ein weltweit anerkannter Rechnungslegungsstandard, der von der unabhängigen Organisation International Accounting Standards Board (IASB) entwickelt wird. Ziel der IFRS ist es, international vergleichbare, transparente und entscheidungsrelevante Finanzinformationen bereitzustellen – insbesondere für Investoren, Analysten und andere externe Adressaten. Anders als das HGB, das dem Vorsichtsprinzip folgt, orientieren sich die IFRS stärker an der Abbildung der wirtschaftlichen Realität und dem sogenannten Fair Value-Prinzip. Das Fair-Value-Prinzip beschreibt die Bewertung von Vermögenswerten und Schulden zu ihrem aktuellen Marktwert statt zu historischen Anschaffungskosten, um ein möglichst realistisches Bild der wirtschaftlichen Verhältnisse zum Bilanzstichtag zu vermitteln.
Diese Umstellung hat weitreichende Konsequenzen, denn die IFRS-Umstellung stellt einen Bruch mit bekannten Bilanzierungsprinzipien und etablierten internen Abläufen dar. Der Unterschied: Die bisherigen Jahresabschlüsse dienten primär handels- und steuerrechtlichen Informationsinteressen und wurden unter dem Leitbild des Gläubigerschutzes aufgestellt. Nun aber stehen Transparenz, Kapitalmarktfähigkeit und internationale Vergleichbarkeit im Vordergrund – Anforderungen, die nach einem grundlegend anderen Informationskonzept verlangen. Nicht selten fällt diese Zäsur mit dem Übergang vom Familienunternehmen zur Tochtergesellschaft einer international agierenden Unternehmensgruppe zusammen. Die IFRS-Umstellung wird dann zur Voraussetzung für den Befreiungstatbestand nach § 291 HGB, wonach ein handelsrechtlicher Einzelabschluss entfallen kann, wenn ein IFRS-Konzernabschluss besteht, in den das deutsche Unternehmen einbezogen wird.
Der deutsche Mittelständler muss seine Rechnungslegung neu ausrichten
Der Druck zur Umstellung ist dabei nicht nur formaler Natur. Häufig gehen strategische Zielsetzungen der neuen Eigentümerstruktur mit der IFRS-Einführung einher. Der Wunsch nach konsistenter Berichterstattung innerhalb des Konzerns, die Integration in zentrale Controlling- und Berichtssysteme oder auch die Harmonisierung von Kennzahlen für Investorenberichte führen dazu, dass der deutsche Mittelständler seine Rechnungslegung neu ausrichten muss. In der Praxis betrifft dies nicht nur die technische Bilanzierung, sondern auch die Unternehmenskultur.
Besonders herausfordernd ist der Perspektivwechsel in der Bewertung von Vermögensgegenständen, Verbindlichkeiten, Rückstellungen aber auch off-balance Transaktionen wie Miet- und Leasingverhältnisse. Auch die Prinzipien der Umsatzerlösrealisation werden in der IFRS grundsätzlich anders interpretiert. Während das HGB stark vom Vorsichtsprinzip geprägt ist und tendenziell stille Reserven begünstigt, orientieren sich die IFRS an der Fair Value-Bewertung. Diese Bewertungslogik kann in der Praxis zu erheblichen Unterschieden in Bilanzsumme, Eigenkapital und Erfolgsgrößen führen. Für das Management eines bislang rein nach HGB bilanzierenden Unternehmens ergeben sich daraus Unsicherheiten, etwa bei der Steuerung von Covenants oder bei der Interpretation veränderter Bilanzrelationen durch externe Stakeholder. Insofern reicht die Umstellung nicht nur in das technische Rechnungswesen hinein, sondern beeinflusst auch das Reporting an Banken, Investoren und Geschäftspartner.
Neue Kommunikation: Finanzberichte müssen neu erklärt werden
Zugleich steigen die internen Anforderungen an das Unternehmen in organisatorischer und personeller Hinsicht. Die Einführung eines IFRS-konformen Rechnungswesens erfordert eine Neuaufstellung der Prozesse, Schulungen für Mitarbeitende, Anpassungen der IT-Systeme und meist auch eine intensive Begleitung durch externe Berater und Wirtschaftsprüfer. Hinzu kommt ein zusätzlicher Erstellungsaufwand, da die steuerlichen Deklarationspflichten weiterhin auf Basis der handelsrechtlichen Rechnungslegung abzuleiten sind. Dies führt nicht nur zu Doppelarbeit, sondern verlangt insbesondere im ersten Jahr der Umstellung eine Überleitungsrechnung, um die Abweichungen zwischen IFRS- und HGB-Abschluss verständlich zu machen.
Ein oft unterschätzter Aspekt ist der kommunikative Mehraufwand. Der Umstieg auf IFRS bringt eine andere Darstellung der finanziellen Lage mit sich und verändert auch die Narrative, die in der internen und externen Kommunikation verwendet werden. Finanzberichte müssen neu erklärt werden, Mitarbeitende müssen in der Lage sein, die Logik der neuen Kennzahlen zu verstehen, und externe Partner – etwa Analysten oder Aufsichtsorgane – müssen frühzeitig in die veränderte Berichtsstruktur eingebunden werden. Das bedeutet, dass die IFRS-Einführung nicht nur eine technische, sondern auch eine strategisch-kommunikative Aufgabe darstellt.
Modernisierung der Unternehmenssteuerung
Gleichzeitig ist der Umstieg nicht nur Belastung, sondern auch Chance. Für Unternehmen, die den Zugang zum internationalen Kapitalmarkt anstreben oder sich im Wettbewerb mit global agierenden Konkurrenten behaupten müssen, ist ein Geschäftsbericht nach IFRS ein wichtiges Signal an Investoren und Geschäftspartner. Die internationale Lesbarkeit und Vergleichbarkeit der Abschlüsse wird in einer Welt globaler Lieferketten, konzernübergreifender Strukturen und grenzüberschreitender Investitionen zunehmend zur Voraussetzung für wirtschaftliche Anschlussfähigkeit. Auch für Unternehmen, die bislang nicht kapitalmarktorientiert waren, kann die IFRS-Umstellung den Einstieg in neue Märkte, die Beteiligung an internationalen Konsortien oder eine Ratingverbesserung begünstigen.
Nicht zuletzt bedeutet IFRS auch einen Schritt in Richtung Modernisierung der Unternehmenssteuerung. Die stärker wirtschaftsorientierte Bewertung nach IFRS, die explizite Berücksichtigung von Marktpreisen und Nutzungsdauern sowie die Standardisierung von Segmentberichten und Cashflow-Analysen eröffnen neue Möglichkeiten für ein steuerungsorientiertes Berichtswesen. Für viele Mittelständler kann die Umstellung somit zum Ausgangspunkt einer professionellen und zukunftsfähigen Weiterentwicklung ihrer Controlling- und Steuerungsstrukturen werden.
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Prokurist, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Certified Public Accountant (CPA), Fachberater für Internationales Steuerrecht (FBIStR), Certified Valuation Analyst (CVA)
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