06.2025

Virtuelle Aktienoptionen und Arbeitsvertragsklauseln im Lichte des BAG

Ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts setzt neue Maßstäbe für die rechtliche Bewertung von Mitarbeiterbeteiligungen. Für Arbeitgeber bedeutet diese Entscheidung eine klare Aufforderung zur Überprüfung ihrer Vertragsklauseln.

Mit seinem Urteil vom 19. März 2025 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) ein klares Zeichen gesetzt: Klauseln in arbeitsvertraglichen Regelwerken, die zum sofortigen oder beschleunigten Verfall von bereits erdienten virtuellen Aktienoptionen führen, sind unwirksam, wenn sie den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligen. Diese Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen für alle Unternehmen, die ihre Mitarbeitenden durch virtuelle Beteiligungsprogramme an den wirtschaftlichen Erfolgen beteiligen – insbesondere Start-ups und wachstumsorientierte Technologiebetriebe, in denen solche Incentivierungsmodelle gängige Praxis sind.

Virtuelle Aktienoptionen – auch „Virtual Stock Options“ oder „phantom shares“ genannt – geben Arbeitnehmern das vertragliche Recht auf einen geldwerten Vorteil, der an die Wertentwicklung des Unternehmens gekoppelt ist. Anders als bei echten Aktien entsteht kein gesellschaftsrechtlicher Status, sondern ein schuldrechtlicher Anspruch auf Zahlung, etwa bei einem Börsengang oder Unternehmensverkauf. Die Zuteilung solcher Rechte erfolgt häufig unter dem Vorbehalt einer sogenannten Vesting-Periode. In dieser Zeit „verdient“ sich der Arbeitnehmer seine Rechte schrittweise durch das Bestehen des Arbeitsverhältnisses und die Erbringung seiner Arbeitsleistung. Erst nach Ablauf gewisser Zeiträume werden die Optionsrechte „gevestet“, also rechtlich gesichert und ausübbar – vorausgesetzt, ein sogenanntes Ausübungsereignis wie ein IPO tritt ein.

Der Fall: Eigenkündigung und Verfall der Optionen

Im entschiedenen Fall ging es um einen Arbeitnehmer, dem 23 virtuelle Optionen zugesagt worden waren. Zum Zeitpunkt seines Ausscheidens durch Eigenkündigung waren rund 31 Prozent dieser Optionen bereits gevestet. Dennoch lehnte der Arbeitgeber eine Auszahlung ab, da die vertraglich vereinbarten Bedingungen im „ESOP“ – also dem Regelwerk für Mitarbeiterbeteiligungen – bei Eigenkündigung den sofortigen Verfall dieser Rechte vorsahen. Alternativ sah das Programm für andere Fälle einen beschleunigten Verfall binnen zwei Jahren vor – und zwar in doppeltem Tempo im Vergleich zur ursprünglichen Vesting-Logik. Der Arbeitnehmer klagte auf Anerkennung seiner Rechte und obsiegte nun vor dem Bundesarbeitsgericht.

Zentral für die Bewertung durch das BAG war die Einordnung der ESOP-Regelungen als Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne des § 305 BGB. Damit unterliegen sie der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle nach § 307 BGB. Eine solche Kontrolle prüft, ob die Vertragsbestimmungen mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung vereinbar sind und keine unangemessene Benachteiligung darstellen. Das Gericht stellte fest, dass der Arbeitnehmer die gevesteten Optionen im Rahmen seiner aktiven Arbeitsleistung „verdient“ habe. Dies zeige sich unter anderem daran, dass die Vesting-Periode bei Zeiten ohne Entgeltanspruch (zum Beispiel unbezahltem Urlaub) unterbrochen wurde – also klar an die tatsächliche Arbeitsleistung gekoppelt war.

Eine Klausel, die diesen bereits erarbeiteten Anspruch durch die bloße Beendigung des Arbeitsverhältnisses entfallen lässt, widerspricht nach Auffassung des BAG dem arbeitsrechtlichen Grundsatz des § 611a Abs. 2 BGB: Vergütung ist für geleistete Arbeit zu gewähren. Ein sofortiger Verfall würde diesem Grundsatz diametral entgegenstehen. Zudem beeinträchtige eine solche Regelung die Kündigungsfreiheit des Arbeitnehmers auf unzulässige Weise, da er im Fall einer Eigenkündigung mit einem empfindlichen Vermögensverlust rechnen müsste, selbst wenn er die Voraussetzungen für die Ausübung der Optionen bereits erfüllt hatte. Auch der beschleunigte Verfall binnen zwei Jahren nach dem Ausscheiden wurde vom Gericht als unangemessen bewertet. Die Beschleunigung gegenüber der originären Vesting-Logik sei nicht hinreichend sachlich gerechtfertigt, da sie die geleistete Arbeitszeit unberücksichtigt lasse und durch keine gewichtigen Arbeitgeberinteressen gedeckt sei.

Was Arbeitgeber und Arbeitnehmer jetzt wissen müssen

Aktuell liegt nur die Pressemitteilung zur Bundesarbeitsgerichtsentscheidung vor. Sobald die Entscheidungsgründe vorliegen, sind die Auswirkungen für die Vertragsgestaltung noch konkreter zu beleuchten. Es zeichnet sich aber bereits ab, dass für Arbeitgeber diese Entscheidung eine klare Aufforderung zur Überprüfung ihrer Vertragsklauseln im Zusammenhang mit Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen bedeutet. Besonders häufig finden sich in solchen Programmen einseitig formulierte Verfallklauseln, die den Bestand der Optionen an die weitere Betriebszugehörigkeit knüpfen oder im Fall einer Eigenkündigung pauschal verfallen lassen. Solche Regelungen sind nun in hohem Maße angreifbar, wenn die betroffenen Optionen bereits gevestet sind – also der Arbeitnehmer seinen „Vergütungsbeitrag“ durch Arbeit bereits geleistet hat. Die Gestaltung solcher Klauseln muss künftig stärker zwischen erarbeiteten (gevesteten) Rechten und reinen Anwartschaften differenzieren. Auch muss beachtet werden, dass Mitarbeiterbeteiligungsprogramme in der Regel nicht individuell ausgehandelt, sondern standardisiert vergeben werden – womit sie der strengen AGB-Kontrolle unterliegen. Der bisher oft vertretenen Auffassung, es handele sich lediglich um eine „Verdienstchance“, die bei Ausscheiden des Mitarbeiters folgenlos entfalle, hat das BAG eine klare Absage erteilt.

Auch für Arbeitnehmer bringt das Urteil mehr Rechtssicherheit und Verhandlungsspielraum. Wer an einem virtuellen Beteiligungsprogramm teilnimmt und zumindest teilweise gevestete Optionen erworben hat, kann sich auf diese Entscheidung stützen, um seinen Anspruch trotz Beendigung des Arbeitsverhältnisses durchzusetzen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Vesting-Bedingungen erfüllt sind und kein Ausübungsereignis ausgeschlossen ist. Besonders in Branchen, in denen Mitarbeiteraktien oder virtuelle Optionen zentrale Bestandteile der Vergütung darstellen, kommt es für Arbeitnehmer darauf an, sich frühzeitig über ihre Rechte zu informieren. Oft liegt der rechtlich relevante Wert nicht im Besitz von Aktien selbst, sondern in schuldrechtlichen Zusagen, deren tatsächlicher Gehalt im Kleingedruckten verborgen bleibt.

Balanceakt zwischen Anreiz und Fairness

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts bringt neue Maßstäbe in die rechtliche Bewertung von Mitarbeiterbeteiligungen. Es stärkt das Prinzip der fairen Vergütung für geleistete Arbeit und schützt Arbeitnehmer vor unangemessenen Entwertungen ihres Einsatzes im Unternehmen. Gleichzeitig müssen Arbeitgeber neue Wege finden, um die gewünschte Bindungswirkung ihrer Beteiligungsmodelle rechtskonform zu sichern – etwa durch transparente, differenzierte Regelungen zu Vesting, Ausübungsrechten und Verfall. Die Entscheidung fordert beide Seiten: zur Sorgfalt in der Vertragsgestaltung und zur Klarheit in der rechtlichen Bewertung solcher innovativen Vergütungselemente. Die Expert:innen für Arbeitsrecht der WWS-Gruppe unterstützen Sie in diesen Fällen individuell.

 

Korrespondenz mit:

Portrait & Vita
Rebekka De Conno
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht
Tel.: 02166 971-128
Fax: 02166 971-173
E-Mail: r.deconno@wws-gruppe.de

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