12.2022

Urlaub bei Langzeiterkrankten: Worauf zu achten ist

Erkranken Arbeitnehmende im Verlauf des Urlaubsjahres und sind seitdem ununterbrochen arbeitsunfähig, verfallen die gesetzlichen Urlaubsansprüche nach geltender BAG-Rechtsprechung bislang nach 15 Monaten. Der EuGH hat entschieden, dass die 15-Monatsfrist nicht immer zulässig ist, und verwies dabei auf die Bedeutung des Urlaubsanspruchs und die entsprechende Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers.

Als Langzeiterkrankte gelten Arbeitnehmende, die keinen Anspruch auf Krankengeld mehr haben, weil sie bereits Krankengeld während 78 Wochen innerhalb von drei Jahren bezogen haben. Bei Langzeiterkrankten stellt sich regelmäßig auch die Frage, was mit dem Urlaubsanspruch der betroffenen Mitarbeitenden passiert. Bisher verfielen Urlaubsansprüche von Langzeiterkrankten immer 15 Monate nach Beendigung des laufenden Kalenderjahres, in dem der Urlaubsanspruch entstanden ist. Dann erging eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), wonach Urlaubsansprüche nicht zum 31. März des Folgejahres verfallen können, wenn der Arbeitgeber nicht seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist, mithin die Mitarbeitenden auffordert, den Urlaub zu nehmen und auf einen Verfall explizit hinweist. Ein Urlaubsverfall ist nach der Grundsatzentscheidung des EuGH vom 6. November 2018 auch aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts BAG in der Regel nur noch möglich, wenn der Arbeitgeber diese Mitwirkungspflicht erfüllt hat.

Können Langzeiterkrankte jahrelang Urlaub ansammeln?

Erkranken Arbeitnehmende jedoch im Verlauf des Urlaubsjahres und sind seitdem ununterbrochen arbeitsunfähig, verfallen die gesetzlichen Urlaubsansprüche nach geltender BAG-Rechtsprechung bislang nach 15 Monaten. Damit hat sich nun auch der Europäische Gerichtshof befasst und die Rechte von Beschäftigten gestärkt. Der EuGH hat entschieden, dass die 15-Monatsfrist nicht immer zulässig ist, und verwies dabei auf die Bedeutung des Urlaubsanspruchs und die entsprechende Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers.

Dabei stellte sich auch die Frage, ob Langzeiterkrankte jahrelang Urlaub ansammeln können, wenn der Arbeitgeber die Langzeiterkrankten nicht auffordert, Urlaub zu nehmen. Der EuGH unterscheidet bei der Beantwortung danach, ob es um Urlaubszeiten geht, die noch erworben wurden als der Mitarbeiter (teilweise) gearbeitet hat. Diese verfallen ohne Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers nicht. Auch hat der EuGH in einer anderen Entscheidung vom selben Tag geurteilt, dass die deutsche Regelverjährung von drei Jahren nicht den Urlaubsanspruch verjähren lässt, der aufgrund der unterlassenen Mitwirkungspflicht des Arbeitgebers nicht genommen werden konnte. Für das Jahr (und eventuell etwaige Vorjahre), in dem der Mitarbeiter erkrankt ist, stehen ihm danach Urlaubsansprüche/Urlaubabgeltungsansprüche zu.

Grundsätzlich darf der Urlaub bei Langzeiterkrankung nach 15 Monaten verfallen

Der Gerichtshof hat hierzu ausgeführt, dass das Eintreten einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich nicht vorhersehbar und vom Willen des Arbeitnehmers unabhängig ist. Fehlzeiten infolge einer Krankheit sind nämlich den Arbeitsversäumnissen aus Gründen, die unabhängig vom Willen des beteiligten Arbeitnehmers bestehen, zugeordnet, die als Dienstzeit anzurechnen sind. Insgesamt hatte der EuGH zwei Fälle aus Deutschland verhandelt, die das Bundesarbeitsgericht vorgelegt hatte. Für die Jahre, in der der Mitarbeiter ausschließlich krank war, ohne Arbeitsleistung, soll es bei der 15-Monate-Regelung verbleiben, damit nicht für Zeiten, in denen keine Arbeitsleistung erbracht wurde, sich Urlaubsansprüche jahrelang anhäufen können. Grundsätzlich darf der Urlaub bei Langzeiterkrankung also nach 15 Monaten verfallen, bestätigte der EuGH in seinem Urteil. Auch aus seiner Sicht sollen abwesende Beschäftigte nicht unbegrenzt Urlaubsansprüche ansammeln.

Negativen Folge einer unbegrenzten Ansammlung von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub

Die Begründung: Der Gerichtshof hat bereits anerkannt, dass es „besondere Umstände“ gibt, die eine Ausnahme von der Regel, dass Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub nicht erlöschen können, rechtfertigen, um die negativen Folgen einer unbegrenzten Ansammlung von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub, die während eines Zeitraums der Abwesenheit wegen einer Langzeiterkrankung erworben wurden, zu vermeiden. Eine solche Ausnahme beruht auf dem eigentlichen Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub sowie auf der Notwendigkeit, den Arbeitgeber vor der Gefahr der Ansammlung von zu langen Abwesenheitszeiträumen des Arbeitnehmers und den Schwierigkeiten zu schützen, die sich daraus für die Arbeitsorganisation ergeben können

Fraglich ist, ob individuelle Verfallklauseln nunmehr um die Herausnahme des Urlaubsanspruchs bzw. Urlaubsabgeltungsanspruch neu formuliert werden müssen und ihnen ansonsten das Risiko der Gesamtunwirksamkeit droht. Gegebenenfalls entsteht aus diesen EuGH-Urteilen Anpassungsbedarf im praktischen Umgang mit Urlaubsansprüchen und einer konsequenten Dokumentation von Urlaubsansprüchen und Krankheitszeiten.

Der vorgenannten Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers kommt nur noch mehr Bedeutung zu, nachdem weder die Verfallregelung des Bundesurlaubsgesetzes noch die Verjährungsvorschriften des BGB und nun auch nicht einmal die bisher von der Rechtsprechung entwickelte 15-monatige-Übertragungsfrist per se greifen. Arbeitgeber sollten dokumentiert ihren Mitwirkungs- und Hinweisobliegenheiten nachkommen und die Arbeitnehmenden in die Lage versetzen, den Urlaub auch tatsächlich zeitnah zu nehmen

Die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte der WWS-Gruppe stehen Arbeitgebenden jederzeit zur Umsetzung der Neuerungen bei den Urlaubsansprüchen zur Verfügung.

 

Korrespondenz mit:

Portrait & Vita
Rebekka De Conno
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht
Tel.: 02166 971-128
Fax: 02166 971-173
E-Mail: r.deconno@wws-gruppe.de

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