07.2025
Neue Spielräume für die Nachlassplanung: BGH äußert sich zur lenkenden Erbausschlagung
Die Vermögensnachfolge will sorgfältig geplant sein – insbesondere dann, wenn erhebliche Vermögenswerte auf die nächste Generation übergehen sollen. Das jüngste Urteil des Bundesgerichtshofs zur sogenannten lenkenden Erbausschlagung hat in der Fachwelt Aufmerksamkeit erregt. Es bringt mehr Flexibilität in die Gestaltung von Erbfällen und bietet neue Möglichkeiten, steuerliche Belastungen zu reduzieren. Doch nicht nur Steuerstrategen, sondern auch Familien mit komplexen Konstellationen sollten die Bedeutung dieser Entscheidung verstehen.
Der Umgang mit dem eigenen Nachlass gehört zu den sensibelsten Themen im Familien- und Vermögensrecht. Neben emotionalen Aspekten spielen vor allem steuerliche Überlegungen eine zentrale Rolle. Wer größere Vermögenswerte vererben möchte, ist gut beraten, die rechtlichen und steuerlichen Gestaltungsspielräume voll auszuschöpfen. Der Bundesgerichtshof hat mit einer Entscheidung vom 4. September 2024 ein wichtiges Signal gesetzt: Die lenkende Erbausschlagung – also die bewusste Ablehnung einer Erbschaft, um eine steuerlich günstigere gesetzliche Erbfolge herbeizuführen – ist auch für minderjährige oder noch ungeborene Erben ohne familiengerichtliche Genehmigung zulässig, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind.
Nachlassgericht forderte familiengerichtliche Genehmigung
Ausgangspunkt des Falles war der Tod einer wohlhabenden Frau, die ein Vermögen von über 1,2 Millionen Euro hinterließ. Laut ihrem Testament war der Ehemann als Alleinerbe eingesetzt, die beiden Kinder sollten ersatzweise erben. Kurz vor ihrem Tod stellte sich heraus, dass ihre Schwiegertochter schwanger war. Vor dem Hintergrund erheblicher steuerlicher Belastungen entschieden sich der Ehemann und die beiden Kinder, die Erbschaft auszuschlagen. Dadurch sollte die gesetzliche Erbfolge eintreten – mit dem Ziel, das Vermögen auf eine breitere Erbenbasis zu verteilen und so die erbschaftsteuerliche Belastung zu senken. Auch der Sohn erklärte die Ausschlagung im Namen seines noch ungeborenen Kindes. Das Nachlassgericht forderte dafür eine familiengerichtliche Genehmigung, die jedoch verweigert wurde, weil das Kind nach Ansicht des Gerichts durch das Erbe wirtschaftlich profitieren würde. Der Fall ging bis vor den BGH – und dieser stellte sich überraschend hinter die Argumentation der Familie.
Urteil erleichtert strategische Gestaltung von Erbfällen
Der Bundesgerichtshof legte dar, dass in einem solchen Fall keine Genehmigung des Familiengerichts erforderlich ist. Entscheidend war für die Richter, dass die Eltern nicht nur für das Kind, sondern auch für sich selbst das Erbe ausgeschlagen hatten. Dadurch sei ein Interessenkonflikt ausgeschlossen, da sie durch die Ausschlagung selbst keine Vorteile erlangten, die zulasten des Kindes gingen. Der Gesetzgeber habe bewusst auf eine ausdrückliche Genehmigungspflicht verzichtet, und es bestehe keine Regelungslücke, die durch richterliche Auslegung zu schließen sei. Vielmehr sei das elterliche Handeln im Rahmen des Nachlassmanagements rechtlich zulässig – selbst dann, wenn dabei steuerliche Überlegungen eine zentrale Rolle spielten.
Für die Praxis der Nachlassplanung bedeutet dieses Urteil einen grundlegenden Fortschritt. Es erleichtert die strategische Gestaltung von Erbfällen erheblich, insbesondere in Fällen mit mehreren Generationen und hohen Vermögenswerten. Eltern können nun im Rahmen einer geplanten Nachlassstruktur auch für ihre Kinder oder Enkelkinder steueroptimierte Entscheidungen treffen, ohne langwierige familiengerichtliche Verfahren befürchten zu müssen. Das bringt nicht nur Planungssicherheit, sondern auch Schnelligkeit in die Abwicklung von Erbfällen, in denen steuerliche Fristen und Zahlungsmodalitäten oft wenig Spielraum lassen.
Umfassende Nachlassplanung braucht rechtliche, steuerliche und familiäre Expertise
Gleichzeitig wird deutlich, dass steuerliche Erwägungen im Rahmen der Nachlassgestaltung nicht per se als missbräuchlich gelten. Vielmehr anerkennt der BGH, dass es im Rahmen des geltenden Rechts legitim ist, eine vermögens- und steueroptimierte Lösung zu wählen – solange sie den Interessen aller Beteiligten nicht entgegensteht. Die Entscheidung unterstreicht damit das Selbstbestimmungsrecht der Familie und verankert es auch für Fälle, in denen minderjährige oder ungeborene Erben betroffen sind.
Doch so groß der Gestaltungsspielraum nun erscheinen mag – die rechtlichen Feinheiten bleiben anspruchsvoll. Eine lenkende Ausschlagung muss sorgfältig vorbereitet und rechtssicher dokumentiert werden. Insbesondere dann, wenn ein Testament vorliegt, das durch eine solche Maßnahme „umgangen“ wird, kann es innerhalb der Familie zu Konflikten oder rechtlichen Auseinandersetzungen kommen. Auch in steuerlicher Hinsicht ist jede Ausschlagung sorgfältig zu prüfen, da sie unter Umständen neue Steuerpflichten oder andere erbrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. Deshalb bleibt es dabei: Eine umfassende Nachlassplanung braucht rechtliche, steuerliche und familiäre Expertise – und sollte nicht dem Zufall oder kurzfristigen Erwägungen überlassen werden.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs stärkt nicht nur das Instrument der lenkenden Ausschlagung, sondern zeigt, dass Erbrecht und Steuerrecht immer mehr als Werkzeuge zur aktiven Gestaltung von Vermögensnachfolgen verstanden werden können. Wer diese Instrumente kennt und klug einsetzt, schützt nicht nur Vermögen, sondern sichert auch den familiären Frieden über Generationen hinweg. Die Expert:innen für Erbrecht der WWS-Gruppe stehen für solche Fragen jederzeit zur Verfügung und unterstützen bei sämtlichen rechtlichen und steuerlichen Fragestellungen.
Korrespondenz mit:
Geschäftsführerin, Rechtsanwältin, Steuerberaterin, Fachanwältin für Steuerrecht
Tel.: 02166 971-130
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