06.2025

Keine Mitbestimmung des Betriebsrats bei Vergütungsanpassungen freigestellter Mitglieder

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass die Anpassung der Vergütung eines von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellten Betriebsratsmitglieds nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt. Mit diesem Beschluss wird klargestellt, dass Gehaltsanpassungen gemäß § 37 Abs. 4 und § 78 Satz 2 BetrVG ausschließlich nach den gesetzlichen Vorgaben erfolgen müssen, ohne dass der Betriebsrat im Rahmen von § 99 BetrVG beteiligt werden muss. Dieses Urteil schafft Klarheit für die betriebliche Praxis und stärkt zugleich die Rechte der Betriebsratsmitglieder, indem es Benachteiligungen in der Vergütungsentwicklung ausschließt.

Am 26. November 2024 entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Beschluss 1 ABR 12/23, dass die Erhöhung des Arbeitsentgelts eines von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellten Betriebsratsmitglieds nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats gemäß § 99 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) unterliegt. Die Arbeitgeberin betreibt in Leipzig zwei Autohäuser mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern. Der freigestellte Vorsitzende des Betriebsrats absolvierte 2021 erfolgreich ein Assessment-Center für Führungskräftepotenzial, woraufhin die Arbeitgeberin seine Vergütung entsprechend einer höheren Entgeltgruppe des geltenden Tarifvertrags anpasste. Der Betriebsrat vertrat die Auffassung, dass ihm bei dieser Gehaltserhöhung ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 Abs. 1 BetrVG zustehe, und leitete ein Beschlussverfahren gemäß § 101 BetrVG ein, um seine Beteiligung gerichtlich durchzusetzen.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das BAG stellte klar, dass dem Betriebsrat bei der Erhöhung des Arbeitsentgelts eines freigestellten Betriebsratsmitglieds kein Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG zusteht. Diese Norm bezieht sich auf Ein- und Umgruppierungen, also die Zuordnung der Arbeitsaufgaben eines Arbeitnehmers zu einer bestimmten Gruppe innerhalb der Vergütungsordnung. Im vorliegenden Fall handelte es sich jedoch nicht um eine solche Ein- oder Umgruppierung, sondern um eine Anpassung der Vergütung gemäß den gesetzlichen Vorgaben der §§ 37 Abs. 4 und 78 Satz 2 BetrVG. Diese Bestimmungen sehen vor, dass die Vergütung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds entweder entsprechend der betrieblichen Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer angepasst wird oder zur Vermeidung einer Benachteiligung, falls das Betriebsratsmitglied aufgrund seiner Amtsübernahme nicht in eine höher vergütete Position aufsteigen konnte.

99 BetrVG regelt die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei personellen Einzelmaßnahmen wie Einstellungen, Eingruppierungen, Umgruppierungen und Versetzungen. Eine Eingruppierung ist die erstmalige Einstufung eines Arbeitnehmers in eine Vergütungsgruppe, während eine Umgruppierung die Änderung dieser Einstufung betrifft. Da freigestellte Betriebsratsmitglieder von ihrer beruflichen Tätigkeit entbunden sind, erfolgt bei ihnen keine klassische Ein- oder Umgruppierung. Vielmehr soll ihre Vergütung entsprechend der Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer angepasst werden, um Nachteile durch die Freistellung zu vermeiden. Daher greift in solchen Fällen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 99 BetrVG nicht.

Praktische Auswirkungen

Für die betriebliche Praxis hat das Urteil des Bundesarbeitsgerichts weitreichende Folgen. Arbeitgeber sind nicht verpflichtet, den Betriebsrat im Rahmen des Mitbestimmungsrechts nach § 99 BetrVG einzubeziehen, wenn es um die Anpassung der Vergütung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds geht. Dennoch bleibt die Pflicht bestehen, die gesetzlichen Regelungen aus §§ 37 Abs. 4 und 78 Satz 2 BetrVG sorgfältig zu beachten. Diese schreiben vor, dass die Vergütung freigestellter Betriebsratsmitglieder entweder an die betriebsübliche Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer oder an die Vermeidung von Benachteiligungen anzupassen ist. Das Urteil schafft für Arbeitgeber Klarheit und Planungssicherheit, da Gehaltsanpassungen freigestellter Betriebsratsmitglieder nun nicht durch das Zustimmungsverfahren gemäß § 99 BetrVG verzögert werden können. Dies reduziert potenziellen bürokratischen Aufwand und mögliche Konflikte mit dem Betriebsrat. Für die Betriebsratsmitglieder selbst sichert das Urteil ihre finanziellen Ansprüche während der Amtsausübung. Es wird sichergestellt, dass sie durch die Übernahme der Betriebsratstätigkeit keine Nachteile in ihrer beruflichen Entwicklung erleiden. Jedoch erfordert diese Regelung von Arbeitgebern eine sorgfältige Dokumentation und Begründung der Anpassung, um transparent darzulegen, dass die Anpassung tatsächlich auf der Grundlage vergleichbarer Arbeitnehmer oder zur Vermeidung von Nachteilen erfolgt ist. Andernfalls könnten Streitigkeiten darüber entstehen, ob die Vorgaben des Betriebsverfassungsgesetzes eingehalten wurden.

Urteil schmälert die Rechte des Betriebsrats nicht

Für den Betriebsrat selbst bedeutet das Urteil, dass er zwar keine unmittelbaren Mitbestimmungsrechte bei der Vergütungsanpassung freigestellter Mitglieder geltend machen kann, jedoch ein verstärktes Augenmerk auf die Einhaltung der gesetzlichen Regelungen legen sollte. Es besteht die Möglichkeit, dass Betriebsratsmitglieder sich auf § 78 BetrVG berufen, wenn sie der Auffassung sind, benachteiligt zu werden. Dies zeigt, dass das Urteil die Rechte des Betriebsrats nicht schmälert, sondern vielmehr auf eine andere Rechtsgrundlage verweist, die im Zweifel gerichtlich durchgesetzt werden kann. Insgesamt fördert das Urteil eine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat und stärkt das Vertrauen in die Schutzmechanismen des Betriebsverfassungsgesetzes, während es gleichzeitig die betriebliche Praxis erleichtert und beschleunigt.

Die Entscheidung des BAG verdeutlicht die Abgrenzung zwischen mitbestimmungspflichtigen Ein- und Umgruppierungen und der mitbestimmungsfreien Anpassung der Vergütung freigestellter Betriebsratsmitglieder. Arbeitgeber sollten bei Gehaltsanpassungen für freigestellte Betriebsratsmitglieder die gesetzlichen Vorgaben der §§ 37 Abs. 4 und 78 Satz 2 BetrVG beachten, um Benachteiligungen zu vermeiden, ohne jedoch ein Mitbestimmungsverfahren nach § 99 BetrVG einleiten zu müssen. Die Expert:innen für Arbeitsrecht der WWS-Gruppe unterstützen Sie in diesen Fällen individuell.

 

Korrespondenz mit:

Portrait & Vita
Rebekka De Conno
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht
Tel.: 02166 971-128
Fax: 02166 971-173
E-Mail: r.deconno@wws-gruppe.de

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