10.2025

Formverlust mit Folgen: Warum Unternehmen Mietverträge jetzt auf den Prüfstand stellen sollten

Als der Geschäftsführer eines produzierenden Mittelständlers im Frühjahr 2025 eine E-Mail seines Vermieters mit einem Änderungsentwurf für den Mietvertrag erhält, nimmt er die Nachricht kaum zur Kenntnis. Ein kurzer Blick auf das PDF, ein zustimmendes „Einverstanden“ als Antwort – und schon ist der Anhang archiviert. Was er nicht ahnt: Mit genau dieser E-Mail hat er möglicherweise eine folgenreiche Entscheidung getroffen. Denn mit dem Wegfall der Schriftformpflicht für Geschäftsraum- und Grundstücksmietverträge rücken Verträge in den Fokus, die bislang als rechtssicher galten – und dies nun nicht mehr sind.

Bis Ende 2024 galt für Mietverträge mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr grundsätzlich die Schriftform. Wer sich nicht daran hielt, konnte zwar trotzdem mietvertragliche Bindungen eingehen, diese galten jedoch rechtlich als unbefristet und damit jederzeit ordentlich kündbar. Mit dem Vierten Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV) hat der Gesetzgeber die Schwelle zur Wirksamkeit nun gesenkt: Seit dem 1. Januar 2025 genügt bereits die bloße Textform – also eine lesbare Erklärung auf einem dauerhaften Datenträger, etwa per E-Mail oder Messenger – um die zuvor strenge Formvorgabe zu erfüllen. Was auf den ersten Blick nach Erleichterung klingt, birgt in der Umsetzung eine Vielzahl neuer Unsicherheiten.

Unter Umständen kann das Kündigungsrecht verwirkt werden

Die Übergangsregelung sieht vor, dass die neue Rechtslage für alle ab dem 1. Januar 2025 abgeschlossenen Verträge sofort gilt. Für ältere Verträge – sogenannte Altverträge – wird die neue Regelung ab dem 2. Januar 2026 wirksam. Das bedeutet: Mietverhältnisse, die bis Ende 2024 ohne Einhaltung der Schriftform geschlossen wurden, gelten bis Anfang 2026 als unbefristet und können deshalb bis dahin noch ordentlich gekündigt werden, unabhängig von der ursprünglich vereinbarten Vertragsdauer. Wer sich von einem solchen Altvertrag lösen möchte, sollte die verbleibende Frist also sorgfältig im Auge behalten. Denn wird nicht rechtzeitig gekündigt, verliert sich dieses Recht mit Beginn des Jahres 2026. Besonders heikel kann es werden, wenn bestehende Altverträge im Laufe des Jahres 2025 durch bloße Textformnachträge verändert werden: Unter Umständen kann dadurch der Formmangel geheilt und das Kündigungsrecht verwirkt werden – ein klassischer Fall unbeabsichtigter Rechtsbindung.

Für die Praxis stellt sich nun die Frage, wie verbindlich eine per E-Mail vereinbarte Vertragsänderung überhaupt ist. Reicht die schlichte Zustimmung per „Ok“? Müssen die Vertragserklärungen auf demselben Dokument vermerkt sein? Oder genügt es, wenn beide Seiten ihre Zustimmung über verschiedene Kommunikationskanäle erklären? Besonders riskant wird es, wenn Vertragsänderungen oder Ergänzungen über Messenger-Dienste oder als lose E-Mail-Wechsel erfolgen – ohne klare Kennzeichnung, Versionierung oder Beifügung der Anlagen. Im Nachhinein festzustellen, was konkret verabredet wurde, wird dadurch oft zur Sisyphusarbeit. Wer jemals versucht hat, aus einem langen E-Mail-Thread die finale Vertragsversion zu rekonstruieren, kennt das Dilemma.

Abschluss der Erklärung auch bei Textform erforderlich

Hinsichtlich der Textform vertritt die mietrechtliche Literatur die Auffassung, dass auch bei Senkung der Schwelle von Schriftform hin zur Textform dennoch ein Abschluss der Erklärung verlangt wird, d.h. entweder muss eine Erklärung auch in einer e-mail per Faksimile oder eingescannter Unterschrift zum Ausdruck bringen, dass eine gegenseitige Vereinbarung damit abschließend anerkannt wird. Alternativ soll sogar eine Datierung oder Grußformel genügen. Achtung: Wird nach dem Abschluss der Erklärung in Textform darunter eine neue vertragliche Regelung aufgenommen, so kann dies die gesamte vertragliche Vereinbarung unwirksam werden lassen. Diesbezüglich empfehlen wir zur Vermeidung späterer Streitigkeiten, bei Abschluss und Änderung gewerblicher Mietverträge, auch bei Wahl der Textform, den Abschluss der Erklärung zumindest durch eingescannte Unterschrift zu fassen. In den nächsten Jahren wird sich hierzu sicherlich eine gefestigte Rechtsprechung herausbilden, zu der wir Sie dann erneut informieren werden.

Wegfall der Schriftform senkt die Schwelle für Vertragsschlüsse im Geschäftsalltag

Ein besonders gravierender Aspekt betrifft künftige Grundstückserwerber. Mietverhältnisse bleiben auch nach dem Verkauf einer Immobilie bestehen und gehen kraft Gesetzes auf den neuen Eigentümer über. Bisher konnte dieser durch einen schriftlich abgefassten Mietvertrag prüfen, was ihn erwartete. In Zukunft muss er sich auf verstreute elektronische Dokumente, unsortierte E-Mail-Korrespondenz oder lückenhafte Ausdrucke verlassen. Die Unsicherheit steigt – und mit ihr das Risiko, die sprichwörtliche „Katze im Sack“ zu kaufen. Entsprechend werden Garantien und Dokumentationspflichten im Grundstückskaufvertrag künftig eine größere Rolle spielen. Der Verkäufer sieht sich dadurch zugleich steigenden Haftungsrisiken ausgesetzt.

Zu beachten ist auch, dass aber auch zukünftig die Regelungen des § 550 BGB im Übrigen unberührt bleibt. Das heißt: Zeigte ein mit einer Dauer von mehr als einem Jahr abgeschlossener Mietvertrag auch bisher schon Schriftformverstöße, etwa weil im Mietvertrag widersprüchliche oder missverständliche Regelungen aufgenommen waren, der Mietgegenstand nicht konkret genug bestimmt war o.ä., dann wird auch bei Alt-verträgen ab dem 2. Januar 2026 ein solcher Mietvertrag nach wie vor als auf unbestimmte Zeit geschlossen gelten, was insbesondere für Vermieter, die mit einem langfristigen Mietvertrag kalkuliert haben, dann ein besonderes Risiko darstellt.

Fazit

Im Ergebnis zeigt sich: Der Wegfall der Schriftform mag die Schwelle für Vertragsschlüsse im Geschäftsalltag senken, doch die praktische Rechtsanwendung wird keineswegs einfacher. Stattdessen entstehen neue Risiken in Bezug auf die Vertragsdauer, Kündbarkeit und Nachweisbarkeit von Vereinbarungen. Unternehmen, die langfristige Mietverhältnisse unterhalten, sind daher gut beraten, bestehende Verträge prüfen und sich juristisch begleiten zu lassen – nicht erst, wenn es zum Streit kommt. Denn manchmal genügt schon ein kurzer Mausklick, um sich über Jahre hinweg zu binden – oder ein wertvolles Kündigungsrecht zu verlieren. Die Expert:innen für Mietrecht der WWS-Gruppe beraten Sie zum Wegfall des Schriftformgebots und unterstützen Sie bei Handlungsbedarf und Risiken bei Geschäftsraum- und Grundstücksmietverträgen auf.

 

 

Korrespondenz mit:

Portrait & Vita
Oliver Weger
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht

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