06.2025
Diskriminierungsfreie Überstundenregelung: Bundesarbeitsgericht stärkt Rechte von Teilzeitbeschäftigten
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 5. Dezember 2024 entschieden, dass tarifvertragliche Überstundenregelungen, die das Überschreiten der regelmäßigen Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten zur Voraussetzung für Zuschläge machen, Teilzeitbeschäftigte unzulässig benachteiligen. Diese Regelungen verstoßen gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten (§ 4 Abs. 1 TzBfG) und können zudem mittelbare Benachteiligungen wegen des Geschlechts darstellen, wenn der überwiegende Teil der Teilzeitbeschäftigten Frauen sind.
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) rückt die Rechte von Teilzeitbeschäftigten bei der Vergütung von Überstunden in den Mittelpunkt. Konkret ging es um die Pflegekraft einer großen Dialyseeinrichtung, die aufgrund ihrer Teilzeitbeschäftigung Überstundenzuschläge nicht in Anspruch nehmen konnte, da der Tarifvertrag diese nur vorsah, wenn die regelmäßige Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten überschritten wurde. Dies bedeutete für Teilzeitbeschäftigte de facto eine Schlechterstellung, da sie auch bei Mehrarbeit keine Zuschläge erhielten, solange ihre Stunden nicht über die Grenze für Vollzeit hinausgingen. Die Klägerin argumentierte, dass diese Regelung gegen § 4 Abs. 1 TzBfG verstößt, da Teilzeitkräfte ungerechtfertigt benachteiligt werden. Zudem sah sie sich wegen ihres Geschlechts mittelbar diskriminiert, da ein Großteil der Teilzeitkräfte Frauen sind. Nach langwierigen Instanzen und einem Vorlageverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gab das BAG der Klägerin in wesentlichen Punkten Recht.
Rechtliche Würdigung und Entscheidung des BAG
Das BAG stellte fest, dass § 10 Ziff. 7 Satz 2 des Manteltarifvertrags (MTV) des Arbeitgebers unwirksam ist, soweit er bei Teilzeitbeschäftigung keine anteilige Absenkung der Überstundengrenze vorsieht. Die Regelung benachteilige Teilzeitbeschäftigte strukturell gegenüber Vollzeitkräften, ohne dass ein sachlicher Grund für diese Ungleichbehandlung vorliege. Ein solcher wäre beispielsweise dann gegeben, wenn die Regelung auf objektiven betrieblichen Notwendigkeiten basieren würde, die hier jedoch nicht erkennbar waren.
Darüber hinaus stellte das Gericht eine mittelbare Geschlechtsdiskriminierung gemäß § 7 Abs. 1 AGG fest. Im vorliegenden Fall waren mehr als 90 % der Teilzeitbeschäftigten Frauen. Durch die Benachteiligung von Teilzeitkräften traf die Regelung daher überwiegend weibliche Beschäftigte und diskriminierte sie in unzulässiger Weise. Das BAG sprach der Klägerin die geforderte Zeitgutschrift zu und gewährte zudem eine Entschädigung in Höhe von 250 Euro. Diese soll sowohl den immateriellen Schaden der Klägerin ausgleichen als auch eine abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber entfalten.
Praktische Auswirkungen auf Tarifgestaltung und Betriebe
Das Urteil verdeutlicht die Notwendigkeit, tarifliche Regelungen präzise und diskriminierungsfrei zu formulieren, um rechtliche Konflikte zu vermeiden. Tarifparteien müssen künftig darauf achten, dass Regelungen nicht nur den gesetzlichen Vorgaben entsprechen, sondern auch faktisch keine Gruppen benachteiligen. Dies bedeutet, dass bei der Definition von Überstunden und der daran geknüpften Vergütung explizit berücksichtigt werden sollte, wie sich diese Regelungen auf Teilzeitbeschäftigte auswirken. Besonders in Branchen mit einem hohen Anteil an Teilzeitkräften ist es entscheidend, klare und transparente Kriterien zu schaffen, die allen Beschäftigten unabhängig von ihrer Arbeitszeit gleiche Bedingungen gewähren.
Darüber hinaus sollten Unternehmen verstärkt darauf achten, dass Diskriminierungsrisiken bereits in der Ausgestaltung der Arbeitszeitmodelle erkannt und minimiert werden. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Personalabteilungen, Betriebsräten und tarifvertraglichen Partnern kann helfen, Regelungslücken zu identifizieren und Anpassungen rechtzeitig umzusetzen. Auch Schulungen für Führungskräfte und die regelmäßige Überprüfung bestehender Tarifverträge auf Diskriminierungsrisiken können präventiv wirken. Letztlich stärkt dieses Urteil nicht nur die Rechte von Teilzeitbeschäftigten, sondern trägt dazu bei, Arbeitsverhältnisse insgesamt gerechter zu gestalten. Unternehmen, die sich aktiv mit diesen Herausforderungen auseinandersetzen, positionieren sich nicht nur rechtlich sicherer, sondern senden auch ein wichtiges Signal in Richtung Gleichstellung und Arbeitnehmerfreundlichkeit.
Fazit
Das Urteil des BAG ist ein Meilenstein für die Rechte von Teilzeitbeschäftigten und setzt klare Signale gegen strukturelle Benachteiligungen. Es fordert Arbeitgeber und Tarifpartner zu mehr Sorgfalt bei der Gestaltung von Arbeitszeit- und Vergütungsmodellen auf, um Diskriminierungen von Teilzeitkräften und insbesondere von Frauen zu verhindern. Dieses Urteil wird die Debatte um eine faire und diskriminierungsfreie Arbeitszeitgestaltung in der Praxis weiter vorantreiben. Die Expert:innen für Arbeitsrecht der WWS-Gruppe unterstützen Sie in diesen Fällen individuell.
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