08.2024
BSG-Urteil stärkt Sozialversicherungspflicht: Ein-Personen-Gesellschaften bieten keinen Schutz vor Scheinselbständigkeit
Das Bundessozialgericht hat klargestellt, dass die Zwischenschaltung von Ein-Personen-Gesellschaften nicht vor der Sozialversicherungspflicht schützt. Besonders betroffen sind Interims-Manager und Berater, die bisher glaubten, durch die formale Gestaltung ihrer Verträge die Verpflichtungen zur Sozialversicherung umgehen zu können. Das Urteil vom 20. Juli 2023 setzt nun neue Maßstäbe und zwingt Unternehmen dazu, ihre Vertragspraktiken und tatsächlichen Arbeitsverhältnisse kritisch zu überprüfen.
Ein Urteil des Bundessozialgerichts BSG (Urteil vom 20. Juli 2023, Az.: B 12 R 15/21 R) betrifft die sozialversicherungsrechtliche Einordnung von Tätigkeiten, die von Gesellschafter-Geschäftsführern von Ein-Personen-Gesellschaften (z.B. GmbHs) für Dritte ausgeführt werden. Diese Tätigkeiten wurden oftmals als selbstständige Dienstleistungen betrachtet, um der Sozialversicherungspflicht zu entgehen. Das BSG hat nun klargestellt, dass diese Konstruktion in vielen Fällen nicht greift, wenn die tatsächlichen Arbeitsbedingungen Merkmale einer abhängigen Beschäftigung aufweisen.
Sachverhalt und Entscheidung
Im vorliegenden Fall war der Kläger ein alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH, die Pflegedienstleistungen erbrachte. Er schloss mit einem Krankenhaus eine Vereinbarung, in der seine Gesellschaft als Auftragnehmer agierte. Der Vertrag sah vor, dass die Pflegeleistungen unabhängig und eigenverantwortlich erbracht werden sollten. Dennoch war der Geschäftsführer faktisch in die Organisation des Krankenhauses integriert und unterlag dessen Weisungen.
Das BSG entschied, dass eine solche vertragliche Konstruktion nicht ausreicht, um die Sozialversicherungspflicht zu vermeiden. Entscheidend sind die tatsächlichen Verhältnisse: Wenn die Tätigkeit de facto unter Weisungen und in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingebunden ist, liegt eine abhängige Beschäftigung vor. Die Zwischenschaltung einer Ein-Personen-Gesellschaft schützt in diesen Fällen nicht vor der Einordnung als Scheinselbständigkeit und damit nicht vor der Sozialversicherungspflicht.
Bedeutung des Urteils
Dieses Urteil hat weitreichende Konsequenzen, insbesondere für Interims-Manager und Berater, die über ihre Ein-Personen-Gesellschaften tätig werden. Es stellt klar, dass die formale Gestaltung der Verträge nicht ausreicht, um der Sozialversicherungspflicht zu entgehen. Stattdessen sind die tatsächlichen Arbeitsbedingungen maßgeblich. Diese Entscheidung schließt eine Lücke, die bisher von vielen genutzt wurde, um durch vermeintliche Selbständigkeit die Sozialversicherungsbeiträge zu umgehen.
Risiken und Implikationen
- Risikobewertung für Unternehmen und Berater: Unternehmen, die Dienstleistungen über Ein-Personen-Gesellschaften einkaufen, müssen die tatsächlichen Arbeitsverhältnisse genau prüfen. Auch wenn vertraglich eine selbstständige Tätigkeit vereinbart wird, kann die tatsächliche Arbeitsweise zur Sozialversicherungspflicht führen. Diese Entscheidung zwingt Unternehmen, ihre Vertragsstrukturen und Arbeitspraktiken zu überdenken und anzupassen, um rechtliche und finanzielle Risiken zu minimieren.
- Finanzielle Auswirkungen: Unternehmen, die bisher auf die Zwischenschaltung von Ein-Personen-Gesellschaften setzten, um Sozialversicherungsbeiträge zu sparen, müssen nun mit Nachforderungen rechnen. Die Deutsche Rentenversicherung kann rückwirkend Beiträge einfordern, was zu erheblichen finanziellen Belastungen führen kann.
- Rechtliche Klarheit: Das Urteil bringt rechtliche Klarheit in die oftmals komplexen Dreiecksverhältnisse zwischen Auftraggebern, Ein-Personen-Gesellschaften und deren Gesellschafter-Geschäftsführern. Es wird deutlich gemacht, dass die formale Gestaltung der Verträge nicht entscheidend ist, sondern die tatsächliche Ausführung und Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers.
- Eingliederungstheorie und Scheinselbständigkeit: Die Eingliederungstheorie, die die tatsächliche Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation und die Weisungsgebundenheit betont, wird durch dieses Urteil gestärkt. Diese Theorie dient als Grundlage, um Scheinselbständigkeit zu erkennen und abzulehnen. Dadurch wird verhindert, dass Personen, die faktisch wie Angestellte arbeiten, als Selbstständige deklariert werden und somit der Sozialversicherungspflicht entgehen.
- Praktische Umsetzung: Unternehmen müssen künftig sicherstellen, dass ihre Verträge und die tatsächliche Arbeitsausführung übereinstimmen, um rechtlichen Problemen vorzubeugen. Dies bedeutet eine strengere Kontrolle und Dokumentation der Arbeitsbedingungen und -abläufe. Besonders in Branchen, die häufig auf externe Fachkräfte zurückgreifen, wie das Gesundheitswesen, die IT-Branche oder Beratungsunternehmen, muss eine genaue Analyse der Vertragsverhältnisse stattfinden.
Fazit
Das Urteil des BSG vom 20. Juli 2023 setzt ein klares Zeichen gegen die Umgehung der Sozialversicherungspflicht durch die Zwischenschaltung von Ein-Personen-Gesellschaften. Es verdeutlicht, dass die tatsächlichen Arbeitsbedingungen entscheidend sind und nicht die formale Vertragsgestaltung. Unternehmen und Berater müssen ihre Praktiken entsprechend anpassen, um rechtliche und finanzielle Risiken zu minimieren. Die Entscheidung trägt zur Stärkung des Sozialversicherungssystems bei und verhindert, dass Personen, die faktisch wie Angestellte arbeiten, als Selbstständige deklariert werden. Die Expert:innen für Arbeitsrecht der WWS-Gruppe beraten Sie in diesen Fällen individuell.
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