11.2024
Begünstigungstransfer bei der Erbschaftsteuer: Flexibilität bei der Nachlassaufteilung durch Urteil des Bundesfinanzhofs gestärkt
Das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 15. Mai 2024 (II R 12/21) bringt neue Klarheit in die Anwendung des Begünstigungstransfers bei der Erbschaftsteuer. Auch wenn die Teilung des Nachlasses erst Jahre nach dem Erbfall erfolgt, kann der Steuerbegünstigte weiterhin von Vergünstigungen wie dem Verschonungsabschlag für Betriebsvermögen oder der Steuerbefreiung für das Familienheim profitieren. Diese Entscheidung schafft Spielraum für Erben und Berater, Nachlassverteilungen flexibler zu gestalten und steuerliche Vorteile optimal zu nutzen.
Der Begriff des Begünstigungstransfers spielt im Erbschaftsteuerrecht eine zentrale Rolle, insbesondere wenn es um die steuerliche Begünstigung von Betriebsvermögen, vermietetem Wohnraum oder dem selbstgenutzten Familienheim geht. Der Begünstigungstransfer ermöglicht es, dass Miterben, die im Rahmen der Erbauseinandersetzung begünstigtes Vermögen wie Betriebsanteile oder Immobilien übernehmen, weiterhin in den Genuss der erbschaftsteuerlichen Vergünstigungen kommen. Dies gilt selbst dann, wenn die ursprünglich vom Erblasser zugeteilten Vermögenswerte zwischen den Erben aufgeteilt werden. Entscheidend ist, dass die Aufteilung im Zusammenhang mit der Nachlassregelung steht. Das aktuelle Urteil des Bundesfinanzhofs vom 15. Mai 2024 zeigt, dass der Gesetzgeber hier Flexibilität einräumt und der zeitliche Rahmen für die Nachlassaufteilung nicht starr definiert ist. Dieses Urteil verdeutlicht, dass der Transfer der Begünstigungen auch bei längeren Auseinandersetzungen der Erben möglich bleibt, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind.
Welche Bedingungen gelten für Steuerbegünstigung trotz einer späteren Aufteilung des Nachlasses?
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seinem Urteil vom 15. Mai 2024 (Az. II R 12/21) eine wegweisende Entscheidung zum sogenannten Begünstigungstransfer bei der Erbschaftsteuer getroffen. Dieser Fall beleuchtet die steuerlichen Regelungen, die dann greifen, wenn im Rahmen einer Erbauseinandersetzung begünstigtes Vermögen – wie Betriebsvermögen, vermieteter Wohnraum oder ein selbstgenutztes Familienheim – unter Miterben aufgeteilt wird. Im Zentrum stand die Frage, unter welchen Bedingungen die Steuerbegünstigung trotz einer späteren Aufteilung des Nachlasses auf den begünstigten Erwerber übertragen werden kann.
Im Ausgangsfall beerbten der Kläger und sein Bruder ihre im Dezember 2015 kurz nacheinander verstorbenen Eltern. Zum Nachlass gehörten Grundstücke sowie Beteiligungen an einer GmbH & Co. KG. Die Erben teilten den Nachlass allerdings erst 2018 untereinander auf. Dabei erhielt der Kläger die Gesellschaftsbeteiligungen sowie weitere Grundstücke, während der Bruder mit anderen Vermögenswerten abgefunden wurde. Drei Jahre nach dem Tod der Eltern beantragte der Kläger eine Änderung seines Erbschaftsteuerbescheides. Er argumentierte, dass durch die Erbauseinandersetzung das begünstigte Vermögen nun vollständig ihm zuzurechnen sei und er daher in den Genuss zusätzlicher Steuerbegünstigungen kommen müsse. Das Finanzamt lehnte jedoch ab, weil die Aufteilung des Nachlasses erst nach mehr als sechs Monaten erfolgt sei – eine Frist, die in der steuerlichen Praxis häufig als maßgeblich angesehen wird.
Urteil interessant für rechtliche Auslegung der Erbschaftsteuerbegünstigungen
Das Finanzgericht Düsseldorf gab dem Kläger in erster Instanz Recht, was das Finanzamt zur Revision veranlasste. Der BFH bestätigte jedoch die Entscheidung der Vorinstanz und entschied, dass der sogenannte Begünstigungstransfer auch dann noch zulässig sei, wenn die Teilung des Nachlasses erst Jahre nach dem Erbfall stattfindet, solange die Übertragung der Vermögenswerte in engem Zusammenhang mit dem Erbfall steht. Der BFH hob hervor, dass keine starre zeitliche Frist für die Erbauseinandersetzung vorgesehen sei. Entscheidend sei vielmehr, ob die Teilung des Nachlasses in einem nachvollziehbaren inneren Zusammenhang mit dem Erbfall stehe.
Das Urteil wirft ein interessantes Licht auf die rechtliche Auslegung der Erbschaftsteuerbegünstigungen, insbesondere im Hinblick auf die Flexibilität bei der Aufteilung des Nachlasses. Es macht deutlich, dass der Gesetzgeber keine konkrete Frist für die Auseinandersetzung von Erbengemeinschaften festgelegt hat, obwohl in der Verwaltungspraxis häufig eine Sechsmonatsfrist als Anhaltspunkt herangezogen wird. Der BFH stellt klar, dass diese Frist keine zwingende Bedingung für die Anwendung des Begünstigungstransfers darstellt. Ein über diesen Zeitraum hinausgehender Zeitraum kann unter bestimmten Umständen zulässig sein, insbesondere wenn nach dem Erbfall erst einmal eine Reihe von steuerlichen und bewertungstechnischen Fragen geklärt werden müssen, wie es in diesem Fall der Fall war.
Urteil schafft mehr Flexibilität in der Gestaltung der Nachlassabwicklung
Interessant ist auch die Abgrenzung, die der BFH im Hinblick auf die „neue Willensbildung“ der Erbengemeinschaft vornimmt. Wenn die Erbengemeinschaft bewusst den Nachlass zunächst ungeteilt lässt und sich erst zu einem späteren Zeitpunkt entschließt, eine Aufteilung vorzunehmen, kann dies den Begünstigungstransfer ausschließen. Entscheidend ist daher, ob die spätere Auseinandersetzung noch auf den ursprünglichen Willen der Erben zurückgeht, den Nachlass entsprechend den erbrechtlichen Ansprüchen zu teilen, oder ob es sich um eine nachträgliche Neuverhandlung handelt.
Für steuerpflichtige Erben und ihre Berater bedeutet das Urteil eine erhebliche Erleichterung. Es schafft mehr Flexibilität in der Gestaltung der Nachlassabwicklung und ermöglicht es, auch nach längeren Zeiträumen von den steuerlichen Begünstigungen zu profitieren. Dies kann besonders in Fällen von komplexen Erbengemeinschaften von großer Bedeutung sein, in denen die Aufteilung des Vermögens nicht unmittelbar nach dem Erbfall erfolgen kann. Auch wenn das Finanzamt nach wie vor die Sechsmonatsfrist als Richtschnur verwendet, zeigt das Urteil, dass die Gerichte einen großzügigeren Spielraum gewähren können, wenn es um die konkrete Handhabung der Begünstigung geht.
Erbschaftsteuer bietet trotz ihrer komplizierten Regelungen Gestaltungsspielraum
Das Urteil des BFH zeigt darüber hinaus, dass steuerliche Begünstigungen bei der Erbschaftsteuer, wie etwa der Verschonungsabschlag für Betriebsvermögen (§ 13a ErbStG) oder die Steuerbefreiung für das eigengenutzte Familienheim (§ 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG), unter bestimmten Voraussetzungen übertragen werden können, selbst wenn die eigentliche Zuteilung der Vermögenswerte erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt. Hierzu gehört etwa die Vereinbarung einer Erbauseinandersetzung zwischen den Miterben, die das ursprünglich vom Erblasser begünstigte Vermögen an einen der Miterben überträgt. Dieser Miterbe kann dann in den Genuss der vollen Steuerbegünstigung kommen, während der andere Miterbe nicht begünstigtes Vermögen erhält. Dabei bleibt der steuerliche Vorteil des begünstigten Miterben bestehen, was eine interessante Möglichkeit zur Optimierung der Steuerlast im Rahmen der Erbschaft darstellt.
Insgesamt verdeutlicht der Fall, dass die Erbschaftsteuer trotz ihrer komplizierten Regelungen Gestaltungsspielraum bietet, der im Interesse der Erben genutzt werden kann. Dies setzt jedoch voraus, dass sowohl die Erben als auch ihre Berater die komplexen Zusammenhänge zwischen Erbteilungsverträgen, Nachlassbewertung und Steuerrecht verstehen und entsprechend anwenden. Der BFH hat mit diesem Urteil nicht nur die Anwendung der Begünstigungsregelungen konkretisiert, sondern auch aufgezeigt, dass in der steuerlichen Praxis oft mehr Flexibilität möglich ist, als es zunächst den Anschein hat. Für Miterben, die nach dem Erbfall eine Auseinandersetzung anstreben, kann dies in vielen Fällen einen erheblichen steuerlichen Vorteil bedeuten. Die Expert:innen für Steuer- und Erbrecht der WWS-Gruppe unterstützen bei allen Fragen rund um die Erbschaftsteuer.
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