05.2025
Arbeitnehmerüberlassung: Was passiert beim Betriebsübergang auf Entleiherseite
Ein Fall, der vom Bundesarbeitsgericht (BAG) dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vorgelegt wurde, betrifft einen Leiharbeitnehmer, der nach einem Betriebsübergang weiterhin im selben Unternehmen tätig war. Während der Arbeitnehmer argumentiert, dass die Überlassungsdauer nicht neu beginnt und er Anspruch auf ein festes Arbeitsverhältnis hat, sieht die Gegenseite den Betriebsübergang als Neuanfang. Die Entscheidung des EuGH wird klären, wie das Zusammenspiel von nationalem Recht und EU-Richtlinien in diesem Bereich zu verstehen ist.
Die Rechtsprechung zur Leiharbeit steht erneut vor einer richtungsweisenden Entscheidung, die tiefgreifende Auswirkungen auf Unternehmen und Arbeitnehmer haben könnte. Im Zentrum des aktuellen Verfahrens steht die Frage, wie die Höchstdauer der Überlassung eines Leiharbeitnehmers bei einem Betriebsübergang zu berechnen ist. Der Beschluss des Neunten Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 1. Oktober 2024 (Az.: 9 AZR 264/23; Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 18. Oktober 2023, Az.: 10 Sa 353/23), ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu richten, zeigt die Komplexität und die unionsrechtlichen Verstrickungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang.
Höchstdauer der Überlassung von Leiharbeitnehmern
Diese Entscheidung wirft grundlegende Fragen zur rechtlichen Auslegung des Begriffs des „Entleihers“ auf, insbesondere im Lichte der Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit. Der vorliegende Fall beleuchtet zudem die Bedeutung tariflicher Sonderregelungen in Branchen wie der Metall- und Elektroindustrie, die auf die Höchstdauer der Überlassung von Leiharbeitnehmern Einfluss nehmen können. Im Kern des Verfahrens steht die Frage, ob bei einem Betriebsübergang der Veräußerer und der Erwerber des Betriebs als dasselbe entleihende Unternehmen anzusehen sind und somit die Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten gemäß § 1 Abs. 1b AÜG nicht neu beginnt. Diese Frage ist von erheblicher praktischer Bedeutung, da Leiharbeitnehmer bei einer Überschreitung dieser Frist unter bestimmten Umständen als festangestellte Arbeitnehmer gelten können – eine Konsequenz, die erhebliche arbeitsrechtliche und finanzielle Auswirkungen auf die betroffenen Unternehmen hat.
Der Kläger war im hier behandelten Fall über einen Zeitraum von fast fünf Jahren ununterbrochen bei demselben Unternehmen im Logistikbereich als Leiharbeitnehmer tätig. Der strittige Punkt liegt darin, ob der Wechsel des Betriebsinhabers im Rahmen des Betriebsübergangs am 1. Juli 2018 auch einen Neuanfang der Überlassungshöchstdauer bedeutet. Der Kläger argumentiert, dass der Betriebsveräußerer und der Betriebserwerber im Sinne des AÜG als derselbe Entleiher zu betrachten seien, da er nach dem Übergang auf derselben Position verblieben ist. Dies würde bedeuten, dass die Überlassungshöchstdauer bereits am 16. Dezember 2018 überschritten wurde und somit ein Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der Beklagten entstanden sei.
Verschärfung der Anforderungen an den Einsatz von Leiharbeitern?
Im Gegensatz dazu ist die Beklagte der Meinung, dass die Überlassungshöchstdauer nach dem Betriebsübergang neu beginnt, unabhängig davon, ob der Leiharbeitnehmer weiterhin dieselben Tätigkeiten ausführt. Diese Auffassung wird durch die tarifliche Regelung gestützt, nach der im Bereich der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens eine Höchstdauer der Arbeitnehmerüberlassung von bis zu 48 Monaten möglich ist. Allerdings konnte sich die Beklagte nicht auf diese Regelung berufen, da sie nach Auffassung des Gerichts keinen Betrieb unterhält, der dem Geltungsbereich dieses Tarifvertrags unterliegt. Die Logistik des Unternehmens ist kein Bestandteil des Produktionsprozesses und somit nicht tarifvertraglich abgedeckt. Diese rechtlichen Fragen verdeutlichen die Herausforderung, die sich aus der Abgrenzung zwischen verschiedenen rechtlichen Begriffen und der Anwendung nationaler und europäischer Vorschriften ergibt. Der EuGH wird daher zu klären haben, ob ein Betriebsübergang im Sinne der Richtlinie 2008/104/EG einen Neuanfang der Überlassungshöchstdauer darstellt oder ob die Kontinuität der Arbeitsverhältnisse trotz des Wechsels des Betriebsinhabers gewahrt bleibt.
Eine weitere zentrale Fragestellung ist die Bedeutung des Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2008/104/EG, der definiert, was unter einem „entleihenden Unternehmen“ zu verstehen ist. Sollte der EuGH entscheiden, dass Veräußerer und Erwerber als ein und derselbe Entleiher zu betrachten sind, könnte dies weitreichende Konsequenzen für die Leiharbeitsbranche haben. Es würde bedeuten, dass Unternehmen, die Leiharbeitnehmer übernehmen, auch die Verantwortung für die zuvor geleistete Einsatzzeit tragen müssten. Dies würde eine Verschärfung der Anforderungen an den Einsatz von Leiharbeitern mit sich bringen und die Flexibilität, die Unternehmen durch den Einsatz von Leiharbeit gewinnen, erheblich einschränken.
Regelungen die Höchstdauer der Überlassung anpassen
Auf der anderen Seite steht das grundsätzliche Anliegen des AÜG und der EU-Richtlinie 2008/104/EG, den Missbrauch von Leiharbeit zu verhindern. Die Einführung der Höchstüberlassungsdauer soll sicherstellen, dass Leiharbeit nur als temporäre Maßnahme genutzt wird und Leiharbeitnehmer nach einer bestimmten Zeitspanne in eine Festanstellung überführt werden, sofern ihre Tätigkeit fortgeführt wird. Diese Zielsetzung kollidiert jedoch oft mit der Praxis, insbesondere in Branchen, die auf eine flexible Personalplanung angewiesen sind, wie die Metall- und Elektroindustrie. Dort wird versucht, durch tarifliche Regelungen die Höchstdauer der Überlassung anzupassen, um den spezifischen Anforderungen der Branche gerecht zu werden.
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm, welches zugunsten des Klägers entschieden hatte und ein Arbeitsverhältnis seit dem 16. Juni 2021 feststellte, unterstreicht die rechtliche Unsicherheit in diesem Bereich. Es zeigt, dass nationale Gerichte bereits divergierende Auffassungen vertreten und die endgültige Klärung durch den EuGH unerlässlich ist. Die bevorstehende Entscheidung des EuGH wird wegweisend für den Umgang mit Leiharbeit in Fällen von Betriebsübergängen sein und könnte die Rahmenbedingungen für den Einsatz von Leiharbeitnehmern in der gesamten EU nachhaltig verändern. Unternehmen müssen sich auf mögliche Änderungen einstellen, die ihre Personalstrategien und tariflichen Vereinbarungen betreffen könnten.
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